Bemerkenswerte Lohntendenzen - Flexibilität bei der Pensionierung ist gefragt
Referat von Werner Reimann, Leiter der HR-Forschung bei Demoscope
Die Mitglieder der Angestellten Schweiz verdienen nach wie vor vergleichsweise gut. Beachtenswert sind einige Entwicklungen der letzten Jahre.
8714 Franken verdiente ein in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie arbeitendes Mitglied der Angestellten Schweiz im letzten Jahr monatlich, samt allfälliger Boni und anderer Entschädigungen. Sogar 9095 Franken waren es in der Chemie- und Pharmabranche. Das sind stolze Zahlen, die deutlich über denjenigen liegen, die das Bundesamt für Statistik in seiner Lohnstrukturerhebung 2008 für diese Wirtschaftszweige ermittelt hat. Die Gründe für den Unterschied zur offiziellen Statistik liegen primär darin, dass bei den Angestellten Schweiz überdurchschnittlich viele gut, bis sehr gut qualifizierte Erwerbstätige organisiert sind. Diese wiederum arbeiten oft in grossen Unternehmen, die tendenziell höhere Löhne bezahlen können.
Die Angestellten Schweiz führen regelmässig in Zusammenarbeit mit Demoscope (Adligenswil) Salärerhebungen unter ihren Mitgliedern durch. Dies mit einem gleich bleibenden Instrument. Daraus lassen sich einige bemerkenswerte Tendenzen ableiten:
- Verglichen mit der letzten Salärerhebung sind die Löhne in der MEM-Branche in den vergangenen zwei Jahren um 4,1% und in Chemie/Pharma um 2,8% gestiegen. Weil in der gleichen Zeit die Teuerung in der Schweiz nur um 1% anstieg, ergibt sich in beiden Branchengruppen ein bescheidenes Reallohn-Wachstum.
- Seit 2002 haben die mittleren und höheren Kader wesentlich weniger zugelegt wie die unteren Kader, die Spezialisten und die Mitarbeitenden ohne Führungsfunktion. Die Löhne haben sich diesbezüglich tendenziell angeglichen.
- Auch bildungsmässig kam es zu einer Nivellierung: Der Lohnanstieg seit 1999 ist bei denjenigen Angestellten, die eine Berufslehre absolvierten oder über keinen Berufsabschluss verfügen, wesentlich höher als bei ihren Arbeitskollegen, die an einer (Fach-) Hochschule studierten.
- Fortgesetzt hat sich auch die schon vor zwei Jahren beobachtete Tendenz, dass an den soziodemografischen Rändern gespart wird: Die Löhne der ältesten und vor allem der jüngsten Erwerbstätigen entwickelten sich seit 1999 wesentlich bescheidener als bei den mittleren Jahrgängen zwischen 31 und 55 Jahren. Das durchschnittliche Basissalär der vor der Pensionierung stehenden Generation (56+) liegt heute sogar um fast 3% unter demjenigen der 46-55-Jährigen.
- Der Anteil des garantierten Basissalärs an der Gesamtlohnsumme nimmt ab. So machten Bonuszahlungen in der Chemie/Pharma 2005 erst 4,7% und im MEM-Bereich sogar nur 1,8% des Endlohns aus. Bis heute hat sich der Anteil auf 8,5% bzw. 3,8% rund verdoppelt. Gleichzeitig stieg der Anteil der bonusberechtigten Personen von 51% auf 68%.
- 2007 besassen erst 10% der Mitarbeitenden Aktien des Unternehmens, bei dem sie angestellt sind. Heute sind es bereits 15%.
Flexibilität bei der Pensionierung ist gefragt
Die Mitgliederbefragung zeigte, dass auch ein Weiterarbeiten in reduziertem Mass über die Pensionierungsgrenze hinweg für manche ein Thema ist. Flexibilisierung pur!
Zwar beschäftigen sich nur 43% der Mitglieder der Angestellten Schweiz aktiv mit Fragen der Frühpensionierung, doch ist dies stark altersabhängig. Unter den jüngeren Jahrgängen ist es verständlicherweise erst eine kleine Minderheit, die sich Gedanken über dieses für sie noch weit in der Zukunft liegende Thema macht. Hingegen ist es unter denjenigen, die höchstens noch zehn Jahre von ihrer Pensionierung entfernt sind, knapp drei Viertel.
Nicht einmal ein Fünftel aller Umfrageteilnehmer schliesst aus, sich selber frühpensionieren zu lassen. Unter den Vor-Pensionären (56+) sagen sogar im Gegenteil 37%, dass sie selber im Sinn haben, früher in Rente zu gehen und eventuell bereits den Prozess dazu eingeleitet haben. Weitere 42% in dieser Altersgruppe könnten sich eine Frühpensionierung zumindest vorstellen.
Finanzieren wollen die an einer Frühpensionierung Interessierten dieses Vorhaben durch die drei klassischen Quellen in gleichem Mass: Die berufliche Vorsorge, die 3. Säule und private Ersparnisse. Andere Einkünfte wie beispielsweise Erbschaften spielen eine völlig untergeordnete Rolle. Finanzielle Überlegungen sind allerdings auch der mit Abstand meist genannte Grund, der gegen eine Frühpensionierung spricht.
Illusionen und Reorganisationen
Gründe für eine Frühpensionierung sind aus Sicht der Mitarbeitenden vor allem gesundheitliche Überlegungen und private Zukunftspläne, aber auch betriebliche Veränderungen. Interessant sind dabei zwei gegenläufige altersmässige Entwicklungen: Junge bis 30 Jahre glauben sehr stark (64%), dass sie dereinst noch neue Pläne haben werden und können sich betriebliche Veränderungen als Triebfeder für eine Frühpensionierung kaum vorstellen (18%). In der obersten Altersgruppe ab 56 Jahren liegen beide Gründe mit je 40% gleich auf. Viele haben mit vorgerücktem Alter ihre Illusionen aufgegeben und sind durch Reorganisationen aufgerieben.
Wer sich vorzeitig aus dem Berufsleben verabschieden möchte, will dies eher durch einen schrittweisen Abbau des Arbeitspensums (68%) und weniger durch einen sofortigen vollständigen Rückzug (31%) tun. Allerdings verschieben sich die Präferenzen mit zunehmendem Alter: Unter den bis 30-jährigen Mitgliedern wünschen sich 79% eine Frühpensionierung in Etappen, unter denjenigen ab 56 Jahren lediglich noch 59%. Fürchtet die Altersgruppe, die selber kurz vor dem entsprechenden Entscheid steht, organisatorische Probleme bei einem schrittweisen Rückzug? Oder ist es eher der Wunsch, möglichst schnell und eindeutig eine Zäsur im eigenen Berufsleben herbeiführen zu können?
Viele Mitglieder der Angestellten Schweiz sind sich ausserdem bewusst, dass sie in den letzten Jahren ihres Berufslebens möglicherweise einen Schritt zurück treten müssen. 59% können sich vorstellen, vor ihrem definitiven Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess einen Teil ihrer Kompetenzen abzugeben. Insgesamt knapp ein Viertel – unter den Ältesten ab 56 Jahren sogar jeder Dritte – strebt sogar selbst eine Abgabe von Kompetenzen aktiv an.
Offensichtlich ist der Entscheid für oder gegen eine Frühpensionierung in erster Linie Sache der Betroffenen. Nur wenige Unternehmen werden diesbezüglich selber aktiv. Jedenfalls berichten lediglich 9% der im Frühpensionierungsalter stehenden Umfrageteilnehmer, ihr Arbeitgeber habe ihnen den vorzeitigen Rückzug aus dem Arbeitsleben angeboten. 4% wurde dieser Entscheid sogar nahegelegt.
Länger arbeiten – ja, aber freiwillig
Eine Flexibilisierung des Rentenalters kann auch bedeuten, über die gesetzliche Grenze hinaus beruflich aktiv zu bleiben. Können sich das die Angestellten vorstellen? Die Antwort ist ein klares Ja. Nur knapp ein Drittel findet kategorisch, für sie sei spätestens mit dem gesetzlichen Pensionierungsalter Schluss. Alle anderen können sich ein weitergehendes Engagement vorstellen, allerdings die wenigsten in ihrer jetzigen Funktion. Im Vordergrund stehen gelegentliche (Teilzeit-) Einsätze und Freiwilligenarbeit. Die entsprechenden Dispositionen bleiben durch alle Altersgruppen hindurch erstaunlich konstant.