Personenfreizügigkeit ja – aber die Ängste der Arbeitnehmer ernst nehmen
Beitrag von Stefan Studer, Geschäftsführer Angestellte Schweiz, anlässlich der Medienkonferenz von Travail.Suisse vom 8. Dezember
Wir, die Angestellten Schweiz, sagen klar und unmissverständlich JA zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien sowie zur Weiterführung der Personenfreizügigkeit. Damit sagen wir auch JA zu den Bilateralen Verträgen I und zu einem wettbewerbsfähigen Werkplatz Schweiz. Denn nur so haben wir Gewähr für nachhaltig sichere Arbeitsplätze in den stark exportorientierten Branchen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie sowie Chemie/Pharma, die wir vertreten. Dies gilt umso mehr, wenn wir die aktuelle Situation auf den Finanzmärkten mit ihren Auswirkungen auf die Realwirtschaft mit einbeziehen.
Die Bilateralen Verträge I sind für die Exportindustrie von grosser Bedeutung. Die Personenfreizügigkeit erleichtert den Zugang zu qualifizierten Fachkräften, an denen es in den von uns vertretenen Branchen nach wie vor mangelt. Das bestätigt die Aussage von Renato Merz, Personalchef von ABB: „In der Schweiz herrscht ein Fachkräftemangel. Deshalb rekrutiert der Konzern in ganz Europa hoch qualifizierte Mitarbeitende. Ein Entscheid gegen das Freizügigkeitsabkommen würde dies wieder unnötig erschweren.“ Umgekehrt ist es für die ABB wichtig, dass Schweizer Mitarbeitende Zugang in die EU haben. Jasmin Staiblin, Vorsitzende der Geschäftsleitung, sagt dazu: „Die EU ist unser wichtigster Handelspartner. Daher sind wir auf den freien Zugang unserer Mitarbeitenden zu diesen Absatzmärkten angewiesen.“
Ebenso wichtig wie die Personenfreizügigkeit sind die Abkommen über technische Handelshemmnisse, Forschungszusammenarbeit und öffentliches Beschaffungswesen. Ein Nein zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit würde auch diese Abkommen gefährden. Die Folgen für die Exportindustrie, und damit die Mitarbeitenden in diesen Branchen, wären fatal: Als Insel mitten in der EU ohne Zugang zu deren Märkten wäre die Wettbewerbsfähigkeit massiv eingeschränkt. Der Druck auf die Arbeitsplätze und Löhne würde massiv steigen.
Instrumente zum Schutz der Arbeitnehmer sind konsequent anzuwenden
Wir sind uns jedoch bewusst, dass die Erweiterung auch Ängste und Unsicherheiten auslöst – die von gewissen Parteien virtuos geschürt werden. Diese Ängste müssen ernst genommen werden. Denn obwohl die Vergangenheit gezeigt hat, dass im Wesentlichen diejenigen Arbeitskräfte in die Schweiz eingewandert sind, die der hiesige Arbeitsmarkt gebraucht hat, sorgen sich viele unserer Mitglieder um ihren Arbeitsplatz und ihren Lohn. Dieser Verunsicherung treten die Angestellten Schweiz mit gezielten Massnahmen entgegen:
- Die Vereinbarung der Maschinenindustrie schreibt griffige Verfahren gegen Lohndumping fest (Art. 15.5). Diese verhindern zum Beispiel, dass ein Arbeitgeber seine Belegschaft systematisch durch billigere Arbeitskräfte aus der EU ersetzt oder dass er unangemessen tiefere Löhne zahlt. Die Angestellten Schweiz achten als Sozialpartner aufmerksam auf die konsequente Umsetzung dieser Verfahren.
- Die Angestellten Schweiz sind auch Partner des neu ausgehandelten Gesamtarbeitsvertrags der Temporärbranche, deren Angestellte bezüglich Lohn- und Sozialdumping sowie Arbeitsstellenverlust besonders gefährdet sind. Dieser GAV schreibt Mindestlöhne vor (Art. 20), die wir (wenn nötig) durchsetzen werden.
- Selbstverständlich werden wir auch darauf achten, dass die flankierenden Massnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping konsequent angewendet und falls nötig ausgebaut werden.
- Schliesslich fordern wir, dass bei Bedarf die Ventilklausel angewendet wird. Sie ermöglicht es, bei erhöhter Einwanderung wieder Kontingente zu deren Beschränkung einzuführen.
Es ist Zeit, aus dem Réduit auszubrechen
Die Schweizer Mentalität ist ein Stück weit noch immer geprägt vom Réduit-Denken. In der heutigen Zeit der Globalisierung ist dies aber nicht nur wenig erfolgversprechend, sondern geradezu schädlich. Die Angestellten Schweiz sind der Meinung, das Réduit müsse jetzt endgültig verlassen werden. Denn wir haben die Verantwortung, unseren Nachkommen eine Schweiz der Zukunft und der verschiedenen Möglichkeiten zu hinterlassen.
Für Rückfragen:
Stefan Studer, Geschäftsführer Angestellte Schweiz, Tel. 044 360 11 11,
Natel 079 621 08 19