Nachhaltigkeitsberichte: Weshalb lohnt es sich, sie zu lesen?
Mit Nachhaltigkeitsberichten erhöhen die Schweiz und die EU den Druck auf grosse Unternehmen, Rechenschaft über die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Aktivitäten abzulegen. Warum ist es wichtig, dass ich als Mitarbeiter*in den Nachhaltigkeitsbericht meines Unternehmens lese?
Nachhaltigkeitsberichte zum ökologischen und gesellschaftlichen Fussabdruck haben Konjunktur. Viele Unternehmen überbieten sich mit Zielen, bis 2050 oder früher klimaneutral zu werden. Generell besteht die Gefahr, dass sie sich besser darstellen, als sie es sind. Solche Form von Greenwashing zu erkennen, ist für Aussenstehende häufig schwierig. Als Mitarbeiter*in kennst du hingegen den Betrieb. Und bist besser in der Lage, Informationen einzuordnen und Schwachstellen in den Berichten zu erkennen.
Auf welche Fragen muss ein Nachhaltigkeitsbericht Antworten geben?
Unternehmen berichten in der Regel nur darüber, worüber sie berichten wollen. Bis heute hat sich kein weltweiter Standard durchgesetzt. Das macht Vergleiche schwierig. In der Schweiz orientieren sich drei Viertel der Unternehmen an der Global Reporting Initiative (GRI), zwei Drittel an den 17 UNO-Zielen für nachhaltige Entwicklung. Viele wenden mehrere Standards an.
Wo muss ich besonders genau hinschauen?
Zwei Bereiche sind zentral:
- Ziele: Die Vorgaben müssen spezifisch, messbar, relevant, zeitlich terminiert und wirkungsorientiert sein.
- Massnahmen: Mit welchen konkreten Instrumenten will eine Firma diese Ziele erreichen.
Welche Firmen müssen in der Schweiz einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen?
In der Schweiz sind grosse Schweizer Unternehmen dazu verpflichtet, allerdings erst seit 2023. Sie müssen Auskunft geben über die Geschäftsrisiken bezüglich Umwelt, Soziales, Menschenrechten und Korruption. Dies hat das Parlament als Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative beschlossen. Ab Anfang 2024 müssen Firmen mit mindestens 500 Mitarbeiter*innen zudem darüber informieren, wie sie mit ihren Aktivitäten das Klima beeinflussen. Und wie sie die Treibhausgasemissionen reduzieren wollen.
Spezialfall: Unternehmen, die in der EU tätig sind
Die EU hat strengere Vorschriften. Bereits Unternehmen mit 250 Mitarbeitenden müssen transparent über ihren Einfluss auf Klimawandel, Wasserverbrauch und Biodiversität informieren. Und auch, wie sie mit den eigenen Angestellten und den Arbeitskräften von Lieferanten umgehen. Diese Regeln gelten auch für Firmen ausserhalb der EU, also auch für Schweizer Konzerne. Vorausgesetzt, sie erreichen in der EU einen jährlichen Umsatz von 150 Millionen Euro und haben dort eine Tochterfirma.
Erfüllen die Grossunternehmen die gesetzlichen Pflichten?
Sie müssen ab dem Berichtsjahr 2023 ihren Umgang mit Menschen und Umwelt offenlegen. Viele der Unternehmen sind noch im Rückstand. Für den Bericht «Focused reporting» von engageability und öbu wurden alle an der Schweizer Börse kotierten Firmen untersucht, die der Pflicht unterstehen. Nur 60 Prozent der Unternehmen (128 von 213) hatten im Geschäftsjahr 2021 Nachhaltigkeitsinformationen offengelegt. Dies sei mit Blick auf den gesetzlichen Auftrag «eine überraschend tiefe Zahl», heisst es in der Untersuchung.
Wie gut sind die Nachhaltigkeitsziele, die sich Firmen setzen?
Für den Bericht «Focused Reporting» wurden über 150 Grossunternehmen und KMUs analysiert (sie beschäftigen 60 Prozent aller Erwerbstätigen in der Schweiz). Neun von zehn Unternehmen haben in relevanten Bereichen kein Ziel formuliert, dass die oben angegebenen Kriterien erfüllt. Zur Biodiversität setzen sich weniger als 5 Prozent der Firmen ein Ziel.
Spezialfall: Kleine Unternehmen
Was können Mitarbeitende in kleineren Unternehmen tun, die keine Nachhaltigkeitsberichte erstellen?
Zwar besteht für KMUs keine Pflicht zu solchen Berichten. Doch auch hier haben Angestellte gute Argumente, mehr Transparenz in Nachhaltigkeitsfragen zu verlangen. Denn indirekt sind kleinere Firmen ebenfalls von den Vorschriften betroffen. Immer mehr Grossunternehmen verlangen von ihren Zulieferern einen Nachweis darüber, dass Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden.
Ist es für kleine Unternehmen nicht viel zu aufwendig, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen?
Für einen aussagekräftigen Bericht braucht es solide Daten. Das reicht von Angaben zum Energie- und Wasserverbrauch und den Arbeitsbedingungen bis zu den Grundsätzen der Unternehmensführung (Governance). Nimmt ein Unternehmen seine soziale und ökologische Verantwortung wahr, kennt es diese Informationen. Der Aufwand, daraus einen Bericht zu erstellen, lässt sich zudem klein halten. Denn seit Kurzem gibt es mit esg2go eine Plattform, mit der KMU ihre Nachhaltigkeit genau messen und sich mit anderen Unternehmen vergleichen können. Entwickelt hat das Projekt die Hochschule für Wirtschaft Fribourg. Kleinere Unternehmen haben also keine Ausrede mehr.
Woran erkenne ich, ob ein Ziel gut oder ungenügend formuliert ist?
Gute Ziele beziehen sich auf die Wirkung. Zum Beispiel «Tonnen CO2 pro produzierte Einheit». Positiv ist zudem, wenn Bonuszahlungen an das Erreichen solcher Nachhaltigkeitsziele geknüpft werden.
Ungenügende Ziele sind nicht wirkungsorientiert. Wenn Firmen zum Beispiel angeben, wie viele Fahrzeuge mit Elektromotor sie einsetzen wollen. Oder wie viel sie in Massnahmen zur Abwasserbehandlung investieren wollen. Mit solchen Vorgaben bleibt unklar, was der Einfluss auf die Umwelt sein kann.
Worauf muss ich achten, wenn sich mein Unternehmen das Ziel setzt, bis 2040 oder 2050 klimaneutral zu sein?
Relevant ist, worauf sich Klimaneutralität bezieht. Nur auf die eigene Produktion? Werden die Zulieferer erfasst? Oder wird darauf geachtet, dass auch bei der Nutzung der hergestellten Produkte netto keine Treibhausgase mehr entstehen? Je weiter der Bereich gefasst ist, desto effektiver ist das Ziel. Relevant sind weiter die Angaben zu den Massnahmen, um die Vorgaben zu erreichen. Vorsichtig solltest du sein, wenn das Unternehmen die Treibhausgase zu einem grossen Teil mit externen Projekten kompensieren will. Der Kauf von CO2-Zertifikaten ist kritisch zu beurteilen. Wichtig ist, dass primär Massnahmen im eigenen Unternehmen umgesetzt werden.
Setzen sich die Unternehmen ausreichend ambitionierte Klimaziele?
Leider nein. Die Ziele der in «Focused Reporting» analysierten Firmen reichen nicht aus, um die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen. Zudem konzentrieren sich Unternehmen auf die eigene Geschäftstätigkeit. Hotspots in der Wertschöpfungskette, wo Klimaschutzmassnahmen am meisten bewirken können, werden vernachlässigt.
Und wie sieht es mit den Massnahmen aus, um die Ziele zu erreichen?
Die sind nicht zufriedenstellend. Nur ein Drittel der Firmen legt offen, wie sie die Ziele erreichen wollen. Die meisten begnügen sich mit generellen, unspezifischen Aussagen.
Wie kann ich die Informationen des Nachhaltigkeitsberichts meines Unternehmens besser einordnen?
Es ist schwierig, die Angaben eines Berichts allein zu beurteilen. Auch weil noch immer ein verbindlicher Standard fehlt. Hilfreich ist der Vergleich mit guten Beispielen. Das ermöglicht etwa «Focused Reporting», wo verschiedene Berichte hoher Qualität aufgeführt sind.
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