«Traut euch! Die Schweiz ist ein wunderbares Land»
In der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie ist es kein Geheimnis, dass Frauen in der Minderheit sind. Laut Zahlen von Swissmem (2023) beträgt der Frauenanteil 25 %, wobei dieser Wert im Produktionsbereich noch niedriger ist. Es liegt also nahe, dass logischerweise auch weniger Frauen in Personalausschüssen vertreten sind. Aber was ist, wenn sie gar nicht vertreten sind?
«Ich berate viele Personalkommissionen in Unternehmen der MEM- oder Techbranche, es kommt häufig vor, dass nur Männer in der Kommission vertreten sind», erklärt Tanja Riepshoff, Rechtsanwältin bei Angestellte Schweiz. «Das liegt an der Branche. Das Gleiche gilt für die Chemie-/Pharmabranche, obwohl ich hier etwas mehr Frauen wahrnehme. »
In einem (hier anonymisierten) Unternehmen stellte sich die Frage: Bei den Wahlen zur Erneuerung der Ausschussmitglieder kandidierte nur eine einzige Frau. Unser Rechtsdienst wurde um Rat gefragt: Sollte ihre Kandidatur im Interesse der Vielfalt bevorzugt werden? Ist das rechtlich zulässig?
Diese Fragen entstanden aus der Befürchtung, dass sich die weiblichen Mitarbeitenden durch einen ausschliesslich männlichen Ausschuss nicht ausreichend vertreten fühlen könnten.
Die Antwort unseres Anwalts Pierre Derivaz: Eine Frauenquote ist grundsätzlich mit dem Gleichstellungsgesetz sowie mit der MEM-Konvention vereinbar. In Nachbarländern wie Frankreich und Deutschland sind Quoten ausdrücklich erlaubt oder sogar in bestimmten Rechtsordnungen für ANV vorgesehen. Wenn ein Unternehmen jedoch Quoten einführen möchte, muss diese Regel zuvor von den betroffenen Parteien (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) akzeptiert werden. Ausserdem muss sie vor der Ausschreibung festgelegt werden und nicht während der Wahl, wenn man feststellt, dass es an Kandidatinnen mangelt.
In der Schweizer Politik sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert (37 % im Parlament nach den Wahlen von 2023). Politikwissenschaftliche Studien bestätigen jedoch, dass das Geschlecht bei Abstimmungen eine Rolle spielt, insbesondere bei Themen wie Gleichberechtigung, Kinderbetreuung oder Gesundheit. Trifft dies auch auf die Vertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu?
Für Melanie Hasler, Mitglied des Vorstands von Angestellte Schweiz und in ihrer früheren Anstellung als Personalvertreterin engagiert, sind diese Aussagen zu relativieren:
«Während meiner gesamten Tätigkeit war das Verhältnis zwischen Männern und Frauen innerhalb der ANV 50:50. Ich fand dieses Gleichgewicht positiv, da es ermöglichte, unterschiedliche Perspektiven und Ansätze gleichberechtigt in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Ich habe jedoch keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Anliegen von Frauen und Männern festgestellt. Unsere Forderungen waren grösstenteils ähnlich: Arbeitsbedingungen, Kommunikation mit der Geschäftsleitung, Arbeitsorganisation. Ob Mann oder Frau, wir hatten ein gemeinsames Ziel: faire und transparente Bedingungen für alle Mitarbeitenden zu schaffen.»
Diese Aussage bestätigt Tanja Riepshoff, wenn sie vor Ort bei den ANV zu Besuch ist: «Viele Themen sind geschlechtsneutral, zum Beispiel die Erfassung der Arbeitszeit, Boni und natürlich Massnahmen bei Massenentlassungen. Diese Themen sind am existenziellsten und betreffen alle Beschäftigten.» Sie räumt jedoch ein, dass rein weibliche Themen (ein konkretes Beispiel: die Idee, in einem Unternehmen einen Kurs über die Auswirkungen der Menopause am Arbeitsplatz zu organisieren) eher von den weiblichen Mitgliedern der Ausschüsse eingebracht werden. Ein Erfahrungsbericht aus einem anderen Unternehmen erwähnt die Ernennung einer Frauenbeauftragte zuständig für Fragen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz.
Melanie Hasler betont, dass Vielfalt zweifellos eine Bereicherung für die Ausschüsse ist, aber über die Trennung zwischen «Mann und Frau» hinausgeht: «Es ist wichtig, sich nicht nur auf das Geschlecht zu konzentrieren, sondern auch auf die Vielfalt in Bezug auf Altersgruppen, Abteilungen und berufliche Hintergründe.» Daher sollten Quoten ihrer Meinung nach nur als letztes Mittel eingesetzt werden: «Die Priorität sollte darin bestehen, durch eine offene und faire Kultur dafür zu sorgen, dass alle, unabhängig von ihrem Geschlecht, die gleichen Chancen haben, sich in der ANV oder anderen Gremien zu engagieren.»
Für unsere Anwältin Tanja Riepshoff sind Quoten vor allem aus pragmatischen Gründen keine Lösung:
«Ich habe mich bereits während meines Studiums intensiv mit der Frage der Frauenquoten beschäftigt: «Quotenfrauen» sind nie in einer einfachen Position, und in der MEM-Branche gibt es oft einfach zu wenige Frauen in den Teams. Wenn es sie gibt, dann sind Massnahmen, die zur Bewerbung ermutigen, willkommen, aber nicht zwingend. Es ist bereits schwierig, überhaupt Personen für Personalausschüsse zu finden, da diese in der Schweiz rechtlich nicht attraktiv gestaltet sind.»