Ruhestand? Jetzt fängt der Spass erst richtig an!

Wer sagt eigentlich, dass Ruhestand gleich Ruhesitz sein muss? Flavien Allenspach (66), Coach für Pensionierung, sieht das ganz anders: «Der Ruhestand ist kein Wartezimmer, sondern ein bunter Spielplatz voller Möglichkeiten.»

Interview mit Flavien Allenspach 

Flavien Allenspach selbst wurde ungefragt in diese neue Lebensphase katapultiert – und weiss heute, wie spannend der Neustart sein kann. Im Interview verrät er, warum sich manche schwer tun, den Chef-Hut abzulegen, wie man seinen Alltag entspannt neu erfinden kann und warum es nie zu spät für den ganz grossen Wurf ist.

Heutzutage findet man Coaching-Unterstützung in ganz verschiedenen Lebensbereichen. Was hat dich dazu bewogen, dich auf Menschen im Ruhestand zu spezialisieren?

Coach sein ist für mich nicht neu: Ich habe vor 20 Jahren meinen Zertifizierungslehrgang zum Coach gemacht und mich danach noch zum Onlinecoach und Karrierecoach weitergebildet.

Nach einem tiefgreifenden gesundheitlichen Einschnitt, der mein Leben plötzlich entschleunigt hat, wurde ich regelrecht in den Ruhestand katapultiert – nicht vorbereitet, nicht freiwillig. Das hat viele Fragen aufgeworfen: Wer bin ich, wenn ich nicht mehr arbeite? Was bleibt, was beginnt neu? Was mache ich nun, wenn ich keine «richtigen» Aufgaben mehr habe?

In dieser intensiven Zeit habe ich für mich Antworten gefunden – und gemerkt, dass ich damit andere Menschen im Übergang in den Ruhestand begleiten könnte. Achtsam, lösungsorientiert und neugierig auf das, was im Leben noch möglich ist. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn scheinbar nichts mehr bleibt – und gerade dann öffnet sich oft eine Schatzkiste neuer Möglichkeiten.

Wie funktioniert ein Coaching bei dir – in ein paar Worten? Online, vor Ort? Mit welchen Methoden oder Werkzeugen?

Ich coache in der Regel online – das erlaubt eine grosse Flexibilität, besonders für Menschen, die nicht in der Nähe wohnen oder ihre Zeit bewusst gestalten möchten. Auf Wunsch biete ich auch Coachings vor Ort an. Kürzlich hat sich jemand ein Coaching auf einer Sitzbank im Berner Bärenpark gewünscht – eine schöne «plein-air»-Erfahrung, auch für mich.

Mein Coaching ist lösungsorientiert: Im Mittelpunkt stehen nicht Probleme, sondern die Stärken, Wünsche und Möglichkeiten der Klient*innen.

Anstatt lange in der Vergangenheit oder im «Warum» zu verweilen, richtet sich der Blick auf das:

👉 Was funktioniert?
👉 Was soll sich verändern?
👉 Was ist ein nächster kleiner Schritt?

Manchmal braucht es nur ein gutes Gespräch, um wieder Klarheit zu gewinnen. Und manchmal entsteht aus einer kleinen Idee eine neue Lebensvision.

Mit welchen Anliegen kommen die Menschen zu dir? Gibt es Themen, die besonders häufig vorkommen?

Ja, es gibt viele wiederkehrende Themen – und gleichzeitig ist jede Geschichte einzigartig. Häufig geht es um Fragen wie:

  • Was mache ich mit all der Zeit?
  • Wie finde ich neue Aufgaben, die mir Sinn geben?
  • Wie gestalte ich meinen Alltag, ohne mich zu verlieren?
  • Wer bin ich, wenn ich nicht mehr arbeite?

Auch Beziehungsthemen, der Wunsch nach mehr Leichtigkeit oder der Umgang mit gesundheitlichen Veränderungen spielen eine Rolle.

Viele Klient*innen möchten bewusst gestalten, statt einfach irgendwie weiterzumachen. Und genau das ist meine Einladung: diesen neuen Lebensabschnitt aktiv und erfüllt zu gestalten.

Es heisst oft, dass Menschen in verantwortungsvollen oder sehr intensiven Berufen mehr Mühe mit dem Übergang in den Ruhestand haben, weil ihre Identität stark an die berufliche Rolle geknüpft war. Wie siehst du das?

Wer viel Verantwortung getragen hat, spürt oft eine Leere im Ruhestand – ein Stück Identität oder Selbstbild fehlt. Doch das betrifft nicht nur Führungskräfte, sondern viele Berufstätige in unserer leistungsorientierten Gesellschaft.

Aber ich glaube, genau hier liegt eine grosse Chance. Denn hinter der Rolle liegt ein Mensch mit vielen Facetten, Interessen, Träumen. Der Ruhestand ist eine Einladung, neue Seiten zu entdecken – nicht als Verlust, sondern als Verwandlung. Es braucht Zeit, manchmal Mut, aber es lohnt sich. Ich begleite diesen Prozess mit viel Respekt, Offenheit und Freude.

Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz – eine Gefahr, dass sich Ruheständler*innen abgehängt fühlen? Oder eher eine echte Chance, den Alltag zu erleichtern?

Beides ist möglich. Wer mit Technologie vertraut ist, erlebt oft echte Erleichterung – von digitalen Terminkalendern bis hin zu Lernplattformen, die den Geist wach halten. Auch Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, sich zu organisieren, zu lernen oder kreativ zu sein.

Aber ja: Viele fühlen sich ausgeschlossen, weil sie den Zugang oder das Vertrauen in diese neuen Werkzeuge verloren haben. Ich finde es wichtig, hier niedrigschwellige Angebote zu schaffen, die nicht überfordern. Technik kann Brücken bauen – aber sie braucht Anleitung und Ermutigung, besonders im höheren Alter.

Trägt auch die Gesellschaft eine Mitverantwortung für die Herausforderungen älterer Menschen, etwa weil Jugend, Leistung und Effizienz so stark im Mittelpunkt stehen?

Absolut. Unsere Gesellschaft fokussiert stark auf Leistung, Jugend und Schnelligkeit. Ältere Menschen gelten oft als «weniger relevant» – dabei steckt gerade hier so viel Weisheit, Erfahrung und Menschlichkeit.

Ich finde: Es ist höchste Zeit, dass wir das Bild vom Alter neu erzählen. Ruhestand ist kein «Rückzug», sondern ein Übergang. Es geht nicht ums Aufhören, sondern ums Anders-Weitermachen. Wenn die Gesellschaft das erkennt und unterstützt, gewinnen wir alle.

Wenn du drei Ratschläge geben könntest, um die Zeit im Ruhestand bestmöglich zu nutzen – welche wären das?

  1. Gestalte aktiv – nicht nur passiv. Der Ruhestand ist kein Wartezimmer, sondern eine Lebensphase voller Möglichkeiten. Frag dich: Was möchte ich erleben, beitragen, entdecken?
  2. Bleibe verbunden – mit dir selbst und mit anderen. Beziehungen sind das Fundament für Lebensfreude. Pflege dein soziales Netz und schaffe dir auch Raum für dich selbst.
  3. Erlaube dir, neu anzufangen. Es ist nie zu spät für neue Hobbys, Gedanken oder Projekte. Der Ruhestand ist nicht das Ende – sondern vielleicht der Anfang von etwas sehr Echtem.

Und als Bonus noch mein persönlicher Leitsatz:
👉 Du musst nichts mehr, aber du darfst alles.

Wer ist Flavien Allenspach und wo findest du ihn?

Flavien Allenspach (66) ist Coach für Ruhestand und Pensionierung. Er begleitet Menschen dabei, den Übergang in den Ruhestand bewusst, aktiv und mit Lebensfreude zu gestalten. Nach einem eigenen, unerwarteten Wechsel in den Ruhestand hat er sich auf lösungsfokussiertes Coaching spezialisiert. Mit Empathie, Klarheit und kreativen Impulsen hilft er seinen Klient*innen, sich neu auszurichten, Altes loszulassen und neue Perspektiven zu entwickeln.

https://allenspach-coaching.ch

Rente gut - alles gut? Mach mit!

Autor*in

Mitglied werden und profitieren

Werde Mitglied von Angestellte Schweiz und schliesse dich unseren 12'000 Mitgliedern an.