Zwangsfrei nach Hackerangriff
Heute Morgen erhielt ich von meinem Arbeitgeber ein SMS: Ich müsse nicht zur Arbeit erscheinen. Die Hackergruppe «CyberNinja$» habe unser Unternehmen mit Schadsoftware angegriffen. Alle Daten seien gestohlen und verschlüsselt worden und blockiert. Bis sie wieder frei seien, werde uns Mitarbeitenden Urlaub verordnet. Dauer unbekannt.
Maximal würden fünf Ferientage abgezogen. Darf mir mein Arbeitgeber wegen des Hackerangriffs die Ferien kürzen?
Kevin F.
Ein Angriff durch Schad- respektive Verschlüsselungssoftware (Ransomware) mit dem Zweck, Organisationen zu erpressen, gehört zum Risiko des Arbeitgebers. Ähnlich wie herkömmliche IT-Ausfälle. Fällt deswegen die Arbeit aus, liegt juristisch gesprochen ein «Arbeitgeberverzug» vor. Das heisst: Der Arbeitgeber schuldet dir den Lohn, ohne dass du zu einer Nachleistung verpflichtet bist. Die liegen gebliebene Arbeit musst du nicht nachholen.
Frist nicht eingehalten
Der kurzfristig angeordnete Bezug von Urlaubstagen durch Kevins Arbeitgeber ist aus zweierlei Gründen problematisch. Erstens: Der Arbeitgeber darf zwar den Zeitpunkt des Urlaubs festlegen, muss ihn aber drei Monate vorher ankündigen. Eine sofortige Anordnung geht nicht – auch wenn höhere Gewalt im Spiel ist.
Ferienzweck nicht erfüllt
Zweitens: Ein Zwangsurlaub wegen eines Hackerangriffs wird den eigentlichen Zweck von Ferien kaum erfüllen: die Erholung der Angestellten. Wenn wie bei Kevin völlig offen ist, wann man zur Arbeit zurückkehren muss, kann man weder Ausflüge organisieren noch sich richtig zurücklehnen.
Bei Kevin kommt dazu: Er hat die Ferien für das laufende Jahr mit seinem Arbeitgeber schriftlich vereinbart. Dieser kann sie nun nicht mehr einseitig verschieben.
Abbau von Überstunden ist möglich…
Statt Ferien abzuziehen, steht Kevins Arbeitgeber eine andere Möglichkeit offen, seinen Angestellten ein wenig am Schaden zu «beteiligen». Hat Kevin Überstunden auf seinem Arbeitszeitkonto, kann ihn der Arbeitgeber bitten, diese während des Zwangsurlaubs zu kompensieren. Ist Kevin damit einverstanden, werden seine Überstunden abgebaut.
In der Praxis sichern sich viele Unternehmen ein solches Einverständnis der Arbeitnehmenden bereits im Vorfeld – durch eine entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag oder im Personalreglement.
… Aufbau von Minusstunden eher nicht
Die Möglichkeit des Abbaus von Überstunden könnte schlaue Arbeitgeber auf die Idee bringen, in den Arbeitszeitkonten der Angestellten Minusstunden aufzubauen. Ob dies zulässig ist, darüber gehen die Meinungen der Jurist*innen auseinander. Die einen finden, der Arbeitgeber müsse Stunden, in denen er Angestellte nicht beschäftigen kann, über einen grösseren Zeitraum ausgleichen können.
Für die anderen widerspricht dies dem im Obligationenrecht festgehaltenen Umstand, dass Arbeitnehmende nicht zur Nachleistung verpflichtet sind. Davon darf nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmenden abgewichen werden.
Kurzarbeit ist fraglich
Schliesslich kann der Arbeitgeber noch auf die Idee kommen, Kurzarbeit anzuordnen. Ob dies geht, ist allerdings fraglich. Kurzarbeit deckt nämlich das «normale Betriebsrisiko» des Arbeitgebers nicht. IT-Ausfälle gehören wohl dazu. Im Gegensatz dazu wäre zum Beispiel eine Pandemie kein normales Betriebsrisiko.
Kevin F. ist mit der Beratung durch den Rechtsdienst von Angestellte Schweiz sehr zufrieden. Er ist beruhigt, dass er seine regulären Ferien in voller Länge wird geniessen können.
Autor*in
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