Vier-Tage-Woche: ein ideales Modell?
Unseren letzten Artikel zur Vier-Tage-Woche haben wir 2023 veröffentlicht. Damals gab es in der Schweiz erst wenige, vereinzelte Pilotprojekte. Die ersten Rückmeldungen waren jedoch positiv und die Theorie klingt verlockend: 100 % Lohn für drei freie Tage pro Woche. Im November haben wir dich dazu auch auf LinkedIn befragt. Nur eine kleine Minderheit der Teilnehmenden zeigte sich gegenüber diesem Modell zurückhaltend.
Kürzlich berichtete die Presse über die ersten konkreten Erfahrungen von Unternehmen, die den Schritt gewagt haben. Die Rückmeldungen sind interessant, denn wer träumt nicht davon, den Feierabendapéro von Freitag auf Donnerstag vorzuverlegen? Wir wissen jedoch, dass das Thema Arbeit in der Schweiz schnell an tief verankerte kulturelle Werte rührt. Die wöchentliche Arbeitszeit ist in der Schweiz höher als bei unseren europäischen Nachbarn; als die Initiative für sechs Wochen Ferien für alle abgelehnt wurde, zeigten sich ausländische Medien erstaunt.
Wo stehen wir heute?
International kommunizieren Länder, die bereits eine flexible Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich eingeführt haben, positive Resultate: In Island zum Beispiel hat sich das Wohlbefinden der Mitarbeitenden verbessert und die Wirtschaft wächst weiter. In Spanien hat die Regierung ein Pilotprogramm zur finanziellen Unterstützung von Unternehmen lanciert, die den Schritt wagen. Dabei wurden positive Effekte auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden, die durch den Arbeitsweg verursachten CO2-Emissionen und die Produktivität festgestellt.
Die Vier-Tage-Woche ist nämlich nicht nur ein Geschenk an die Mitarbeitenden. Sie nützt auch den Unternehmen, da sie Absenzen und die Fluktuation reduziert und die Produktivität während der geleisteten Arbeitsstunden steigert. Zudem stärkt sie die Arbeitgebermarke und wirkt so dem Fachkräftemangel entgegen.
Es gibt jedoch auch Nachteile. Diese hängen von der gewählten Umsetzung des Modells ab. Es gibt zwei Möglichkeiten:
- Das Unternehmen ist an einem Tag pro Woche offiziell geschlossen und niemand arbeitet an diesem Tag. Das kann für Kunden, Partnerunternehmen und den Fortschritt laufender Projekte problematisch sein.
- Das Unternehmen bleibt geöffnet und die Mitarbeitenden wechseln sich ab. Dies erfordert eine effiziente Arbeitskoordination, Informationsweitergabe und Dokumentation.
In der Schweiz: unterschiedliche Erfahrungen
Ein Pilotprojekt der Berner Fachhochschule, das in Zusammenarbeit mit einer Unternehmensberatung durchgeführt wird, analysiert diese Effekte. Erste Beobachtungen zeigen: Der Erfolg des Modells hängt weniger von der Anzahl Arbeitstage ab als von der konkreten Organisation der Arbeit.
Die an den Projekten beteiligten Fachleute für Organisationsentwicklung sind sich in einem Punkt einig: Wenn Teams weniger arbeiten, sind sie erholter. Das allein genügt jedoch nicht. Um die Leistung beizubehalten, ist es entscheidend, die Kommunikationsprozesse, die Koordination und die Zusammenarbeit neu zu gestalten.
Einige Schweizer Unternehmen berichten von sehr ermutigenden Resultaten wie einer Umsatzsteigerung, einer stärkeren Mitarbeiterbindung und einem verbesserten Arbeitgeberimage. Der Start war jedoch mit Herausforderungen verbunden: Um eine gute Balance zu finden, mussten sie ihre Prozesse anpassen, die Dokumentation verbessern und neue Kommunikationsgewohnheiten etablieren.
Eine wichtige Erkenntnis aus diesen Erfahrungen lautet: Es geht nicht darum, dass jede Person schneller oder intensiver arbeitet. Vielmehr sollen Doppelspurigkeiten, unnötiger Koordinationsaufwand und Störungen reduziert werden. Das grösste Potenzial liegt in der Zusammenarbeit im Team.
Wo das Modell an seine Grenzen stösst
Andere Unternehmen ziehen eine gemischtere Bilanz. In bestimmten Branchen, insbesondere im Handwerk oder in Bereichen mit engem Kundenkontakt, bedeutete der zusätzliche freie Tag nicht immer Erholung. Manchmal traten familiäre Pflichten oder private Termine an die Stelle der Arbeit, was den erhofften positiven Effekt schmälerte. Die asynchrone Arbeit, welche eingespielte Teams stärken kann, hat in weniger homogenen Teams bestehende Schwachstellen noch verstärkt.
Es zeigten sich auch individuelle Unterschiede: Während einige am Ende der Woche abschalten konnten, fiel es anderen schwer, nach vier Tagen mit der Arbeit aufzuhören, und sie riskierten eine Überlastung. Ein selten erwähnter Aspekt betrifft das Privatleben. Für einige Mitarbeitende führte der freie Tag zu Langeweile und ungesunden Gewohnheiten. Für andere wiederum wurde er von ihrem Umfeld als «nützlicher» Tag angesehen, verbunden mit der Erwartung, mehr Aufgaben im Haushalt zu übernehmen.
Einige Unternehmen haben sich schliesslich für eine Zwischenlösung entschieden und eine Viereinhalb-Tage-Woche eingeführt. Dieser Kompromiss ermöglicht es, einen Teil der Vorteile – Erholung, Motivation, Attraktivität – beizubehalten und gleichzeitig die Reibungsverluste zu begrenzen, die durch die gleichzeitige Abwesenheit von Mitarbeitenden entstehen.
Was die Forschung zeigt
Für die Forschung sind diese Erkenntnisse wertvoll. Die Vier-Tage-Woche ist weder eine Wunderlösung noch ein vorprogrammierter Misserfolg. Sie ist ein wirkungsvoller Hebel, wenn sie mit einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der Arbeitsorganisation, der Unternehmenskultur und den branchenspezifischen Gegebenheiten verbunden ist.
Statt von einem Einheitsmodell sollte man daher eher von einer Palette von Lösungen sprechen, die auf die jeweiligen Teams, Berufe und Bedürfnisse zugeschnitten sind. Die Arbeitszeitreduktion wirft somit eine grundlegende Frage auf: Wie wollen wir morgen arbeiten und unter welchen Bedingungen kann Arbeit nachhaltig, attraktiv und sinnstiftend bleiben?
Autor*in
Laure Fasel
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