Gleichstellungsstrategie ohne Vision und Biss

Der Bundesrat will bis 2030 die Gleichstellung von Mann und Frau erreichen. Wie das mit der «Gleichstellungsstrategie 2030» gelingen soll, ist fraglich.

Kaum hatte der Bundesrat Ende April 2021 seine «Gleichstellungsstrategie 2030» vorgestellt, hagelte es Kritik. «Mutlos, lückenhaft und elitär» fand sie die SP-Nationalrätin Tamara Funiciello. Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin von Alliance F, dem Dachverband der Frauenorganisationen, hätte sich von der Regierung «etwas mehr Mut und Kreativität gewünscht».

«Die Gleichstellungsstrategie 2030 besteht aus den immer gleichen Rezepten.»

Ursula Häfliger Geschäftsführerin und Themenverantwortliche Gleichstellungspolitik der plattform

Gleichstellungschancen verpasst

Pointiert drückt sich auf unsere Anfrage auch Ursula Häfliger, Geschäftsführerin und Themenverantwortliche Gleichstellungspolitik der plattform (der politischen Allianz unabhängiger und lösungsorientierter Angestellten- und Berufsverbände, der auch Angestellte Schweiz angehört) aus: «Die Gleichstellungsstrategie 2030 des Bundesrats besteht aus den immer gleichen Rezepten sowie einer Fülle von Aufgaben, welche schon lange aufgegleist sind, aber vom Bundesrat und der Verwaltung noch nicht erfüllt wurden.»

Ist die Gleichstellungsstrategie wirklich so schlecht? Leider ja. Die Chance, bessere Lösungen und neue Themen einzubringen, wurde verpasst, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Beim Vereinbarkeits-Dialog kein neues Format in Sicht

Erstes Beispiel: Der Vereinbarkeits-Dialog mit Sozialpartnern, Kantonen und Gemeinden: «Gleichstellung ist nun wirklich kein neues Thema und die Positionen der jeweiligen Akteure sind hinreichend bekannt», stellt Ursula Häfliger lakonisch fest. Bestes Beispiel dafür sei der gescheiterte Lohngleichheitsdialog. «Erfolgversprechender wäre ein neues Format mit neuer Zusammensetzung.»

Auch müsse das Thema flexibles und vereinbarkeitsgerechtes Arbeiten bei der zuständigen Verwaltungseinheit, dem Seco, noch ankommen. «Dieses scheut jegliche Reformen des Arbeitsgesetzes wie der Teufel das Weihwasser.»

Mit Infokampagnen gewinnt man keine Frauen für MINT-Berufe

Zweites Beispiel: Förderung des Frauenanteils in MINT-Berufen (MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). «Dies zu wollen ist löblich und wegen des Fachkräftemangels in diesen Berufen auch für die Wirtschaft wünschbar», sagt Ursula Häfliger. Es sei aber mit Informationskampagnen nicht getan.

«Als soziale Wesen folgen wir Beispielen. Diese sind in der Familie, in der Schule und im näheren Umfeld zu finden, manchmal auch bei Personen der Öffentlichkeit. Solange die Geschlechterrollen noch so eindeutig verteilt sind wie in der Schweiz, werden die Frauen nicht vermehrt in MINT-Berufe einsteigen wollen.»

«Solange die Geschlechterrollen noch so eindeutig verteilt sind wie in der Schweiz, werden die Frauen nicht vermehrt in MINT-Berufe einsteigen wollen.»

Ursula Häfliger Geschäftsführerin und Themenverantwortliche Gleichstellungspolitik der plattform

Care-Arbeit und Geschlechteraspekte bleiben unberücksichtigt

Drittes Beispiel: Aus Sicht verschiedener Frauenorganisationen kommt in der Strategie der Bereich Care, die bezahlte und unbezahlte Betreuungsarbeit, zu kurz. Dies war ein wichtiges Anliegen des Frauenstreiks 2019. Transgender-Organisationen bemängeln zudem, dass die Strategie nur von zwei Geschlechtern ausgeht.

Gleichstellungsstrategie ist zu unverbindlich

Was in der Strategie weiter negativ auffällt: Vieles soll erst einmal geprüft werden, Vieles bleibt unverbindlich.

Zum Beispiel beim Thema Lohndiskriminierung. Der Bund will diese zwar im öffentlichen und privaten Sektor beseitigen. Die Arbeitgeber fasst er jedoch eher mit Samthandschuhen an.

Vieles wird auch an die Kantone und Gemeinden delegiert.

Falsche Zurückhaltung bei den Ressourcen

Tamara Funiciello kritisiert an der Gleichstellungsstrategie auch, dass der Bundesrat nicht mehr Ressourcen für die Umsetzung der Gleichstellung spreche. Tatsächlich sollen die Massnahmen «so weit als möglich mit den bestehenden Mitteln finanziert» werden.

Zahlen sich denn höhere Investitionen in die Gleichstellung unter dem Strich nicht aus? Gelingt es zum Beispiel, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu bekommen, wirkt dies dem Fachkräftemangel entgegen – zum Nutzen der ganzen Volkswirtschaft. Den Mut für solche Investitionen hat der Bundesrat offenbar nicht.

Wo die Schweiz bezüglich Gleichstellung steht

Die Gleichstellungsstrategie 2030 entspricht den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der UNO. Dort ist die Geschlechtergleichstellung ebenso festgeschrieben wie gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit. Noch hat die Schweiz ein Stück Weg zu gehen. Im Gender-Gap-Index des WEF, der die Lücke zwischen den Geschlechtern bemisst, steht die Schweiz auf Rang 13 aller Länder. Klingt recht gut, aber die skandinavischen Länder, Neuseeland, Irland und Deutschland stehen besser da.

Was die Lohngleichstellung betrifft, stehen wir mit 13,8% Lohnunterschied im Ranking der OECD auf Platz 32 aller OECD-Länder. Bei uns ist der Lohnunterschied höher als im Schnitt aller OECD-Länder (11,9%) und der EU-Länder (10,6%). Vom besten Land Belgien (1,2%) sind wir weit abgehängt.

Klare Bekenntnisse gegen Diskriminierung

Trotz aller Kritik gibt es in der Gleichstellungsstrategie auch gute Ansätze.

Zum Beispiel die klaren Bekenntnisse im Kapitel «Diskriminierung»: «Um sicherzustellen, dass Frauen und Männer während ihres ganzen Lebens die gleichen Chancen haben, müssen alle Formen von Diskriminierung, Sexismus und Geschlechtsstereotypen beseitigt werden. Chancengleichheit von früher Kindheit an, und insbesondere in der Ausbildung, ist zentral, denn Geschlechterstereotypen haben oft einen Einfluss auf die Berufswahl und bleiben ein Leben lang bestehen.»

Der Strategie Leben einhauchen

Nun gilt es, aus der Gleichstellungsstrategie 2030 trotz ihrer Mängel und Schwächen das Beste zu machen. Es ist am Bundesrat, seiner Strategie Leben einzuhauchen, indem er in Zusammenarbeit mit Gleichstellungsorganisationen und Verbänden die Massnahmen konkretisiert und wo nötig ergänzt und dezidiert umsetzt. Dafür sind auch die notwendigen Ressourcen zu sprechen.

Autor*in

Hansjörg Schmid

Hansjörg Schmid

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