Überstunden sind nicht gleich Überzeit
Ich arbeite mit fünf weiteren Angestellten in einem Laden, in dem viel läuft. Bei Hochbetrieb muss ich sehr viele Überstunden leisten.
Gemäss Arbeitsvertrag beträgt meine wöchentliche Arbeitszeit 45 Stunden. Überstunden gelten «als mit dem Lohn abgegolten».
45 Stunden arbeite ich selten. Gemäss meiner Erfassung arbeite ich oft um die 60 Stunden, häufig mehrere Wochen hintereinander.
Mit dem Lohn für 45 Stunden bin ich zufrieden. 5 Überstunden pro Woche machen mir auch nichts aus. Aber habe ich für volle 15 Überstunden nicht mehr Lohn zugute?
Mara P.
Um Maras Fall zu beurteilen, müssen wir auf eine wichtige Frage im Schweizer Arbeitsrecht eingehen: Die Grenze, ab welcher Überzeit vorliegt.
Flexible Regeln für Überstunden und andere Mehrstunden
Oft überschreiten Schweizer Arbeitnehmende die Arbeitszeit, die in ihren Verträgen vereinbart ist. Je nach Zeitsystem und Grund ordnet man die Überschreitungen verschiedenen Kategorien zu. Zum Beispiel Vorholzeit, positive Gleitzeit oder Überstunden.
Das Obligationenrecht räumt viel Flexibilität ein. So kann die Auszahlung oder Kompensation von Überstunden vertraglich weggebunden werden, wie es bei Mara der Fall ist.
Diese Flexibilität ist nicht grenzenlos. In einem Entscheid hielt das Bundesgericht zum Beispiel fest, dass der Lohn dafür genügend hoch sein muss und beispielsweise allfällige Mindestlöhne übersteigen muss. In einem anderen Entscheid betonte es, dass die Wegbedingungsklausel nicht greifen kann, wenn die notwendigen Überstunden das Ausmass des Vorhersehbaren überschreiten.
Mara fragt also zu Recht, ob das Wegbedingen von bis zu 15 Stunden Mehrarbeit pro Woche rechtlich überhaupt zulässig ist.
Gesetzliche Höchstarbeitszeit von 45 oder 50 Stunden je nach Tätigkeit
Das Arbeitsgesetz schreibt eine wöchentliche Höchstarbeitszeit vor. Für Arbeitnehmende in industriellen Betrieben, für Büropersonal und technische Angestellte sowie für Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels beträgt diese 45 Stunden pro Woche. Für alle anderen 50 Stunden.
Bei Mara in ihrem Kleinbetrieb im Detailhandel gelten die 50 Stunden. Die Mehrarbeit ab 45 bis 50 Stunden kann bei ihr – wie gesagt – flexibel geregelt werden.
Strengere Regeln für Überzeitarbeit
Was über die 50 Stunden hinausgeht, sind keine Überstunden mehr, sondern Überzeit. Bei Überzeitarbeit gelten, ausser für die oberste Leitung eines Unternehmens, andere Regeln. So auch für Mara.
Überzeitarbeit darf nur unter gewissen Voraussetzungen geleistet werden. Z.B. bei Dringlichkeit oder ausserordentlichem Arbeitsandrang. Arbeitnehmende mit einem wöchentlichen Maximum von 50 Stunden dürfen jährlich nicht mehr als 140 Stunden Überzeitarbeit ausführen, Arbeitnehmende mit 45 Stunden nicht mehr als 170 Stunden.
Bei Mara muss also zum Beispiel nach vierzehn Wochen mit je 10 Stunden Überzeitarbeit auf jeden Fall Schluss sein (wahrscheinlich schon früher).
Auszahlung mit Zuschlag oder Kompensation zwingend
Überzeitarbeit wird anders behandelt als Überstunden. Maras Recht auf Kompensation oder Auszahlung der Überzeit kann vertraglich nicht wegbedungen werden. Für die Mehrarbeit über 50 Wochenstunden muss der Arbeitgeber eine Kompensation erlauben oder die Stunden auszahlen.
Neben dem Normallohn hat Mara dabei einen Lohnzuschlag von 25% zugute!
(Für Angestellte mit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 45 Stunden ist die Auszahlung mit Zuschlag oder Kompensation erst ab der 61. Stunde zwingend.)
Kompensation kann nicht ewig verschoben werden
Die Kompensation der Überzeit mit Freizeit von gleicher Dauer soll in einem angemessenen Zeitraum erfolgen. Im Normalfall ist dies ein Zeitraum von 14 Wochen. Der Arbeitgeber kann mit der oder dem Angestellten auch einen längeren Zeitraum vereinbaren. Maximal dürfen es 12 Monate sein.
Fazit und Empfehlungen
Maras Arbeitgeber muss ihr die Überzeitarbeit vergüten und darauf achten, dass sie die Schwellen von 140 Stunden pro Jahr nicht überschreitet. Allenfalls kann er mit ihr auch vereinbaren, dass sie Überzeitstunden mit Freizeit kompensiert.
Mara ist zu raten, alle bisher geleisteten Überzeitstunden zusammenzustellen und den Lohn dafür beim Arbeitgeber einzufordern. Bekommt sie Schwierigkeiten damit, kann sie auf die Unterstützung des Rechtsdienst von Angestellte Schweiz zählen.
Mara hat übrigens gut daran getan, die Arbeitszeit korrekt zu erfassen. So kann sie sauber nachweisen, wie viel sie gearbeitet hat. Das empfehlen wir auch dir. Am besten lässt du die Erfassung deiner Arbeitszeit jeweils vom Arbeitgeber visieren.
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Legal Counseling
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