Lernen im Alter? Kinderspiel!
Wann hast du das letzte Mal etwas gelernt? Bestimmt erst kürzlich, wie die Unternehmensberaterin, Konfliktmoderatorin und Altersexpertin Elisabeth Michel-Alder. Auf unsere Frage antwortet sie: «Heute, beim erfinderischen Reparieren eines Kunstobjekts und beim Bearbeiten eines Buches über individuelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte der Berufswahl und -entwicklung». Wir lernen dauernd, mindestens informell.
Eine andere Sache ist das formelle Lernen. Wann hast du die letzte Weiterbildung besucht? Vielleicht ist das schon länger her. Gerade ältere Menschen finden, es lohne sich für sie nicht mehr. Schade! Es ist nie falsch, sich weiterzubilden und Alter ist überhaupt kein Hindernis. Das Sprichwort «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr» ist widerlegt. Heute muss es heissen: «Was Hänschen lernt, lernt Hans ebenso».
Gehirn hält sich bis ins hohe Alter fit
Wir müssen damit leben: Unser Gehirn altert und baut Substanz ab. Das ist die schlechte Nachricht. Aber es gibt zum Glück auch eine gute: Das Gehirn kompensiert diesen Abbau weitgehend, es bildet ein Leben lang neue Nervenzellen. Dadurch können wir bis ins hohe Alter lernen, ausser bei einer Demenz-Erkrankung.
Wie schafft es das Gehirn, trotz Abbau von Gehirnsubstanz fit zu bleiben? Die Psychologen Professor Dr. Martin Meyer und Elena Mayorova von der Universität Zürich erklären es in ihrem Aufsatz «Kognitive Reserve: Lernen im Alter» mit dem Bild von Hardware und Software. Die Hardware ist die Struktur des Gehirns, die Software sind die neuronalen Netze als Basis für unsere kognitiven Fähigkeiten. Bei jungen Erwachsenen sind Hard- und Software eng miteinander verknüpft.
«Eine der überraschendsten Erkenntnisse der jüngeren Zeit weisen darauf hin», schreiben Martin Meyer und Elena Mayorova, «dass sich diese enge Beziehung entkoppelt, je älter ein Mensch wird». Die Wissenschaft schliesst daraus, dass sich das Gehirn im Laufe des Älterwerdens neu organisiert, um einem drohenden Leistungsabbau entgegenzuwirken. So gelingt es ihm, das geistige Niveau auf einem stabilen Level zu halten, selbst wenn die Masse teils erheblich schrumpft. Studien zeigen denn auch, dass Senior*innen für die gleichen kognitiven Aufgaben andere Netzwerke aktivieren als jüngere Vergleichspersonen.
Ohne Training kein Erfolg
Wie der Körper braucht auch das Gehirn Training, um fit zu bleiben. Aber wie?
Um es gleich vorwegzunehmen: Ohne Anstrengung geht es nicht. Es reicht zum Beispiel nicht, regelmässig Kreuzworträtsel oder Sudokus zu lösen. Wer dies trainiert, kann nachher zwar Kreuzworträtsel und Sudokus besser lösen, aber dieser Zugewinn bleibt gemäss Martin Meyer und Elena Mayorova «ohne sichtbaren Effekt auf generelle kognitive Fähigkeiten wie Gedächtnisleistung, Problemlösung oder logisches Denken». Das Gehirn braucht komplexere Aufgaben. Elisabeth Michel Alder nennt Beispiele: «Expert*innen raten, ein Musikinstrument zu erlernen, Tango zu tanzen oder Lösungen zu suchen bei sehr vielschichtigen Konflikten.»
Erklären lässt sich die komplexe Trainingsanforderung laut Meyer und Mayorova dadurch, wie unser Gehirn funktioniert. Es sei perfekt dafür eingerichtet, «Informationen sinnlich aufzunehmen, diese miteinander zu verknüpfen, Assoziationen zwischen mentalen Inhalten zu bilden und daraus handlungsrelevante Schlüsse zu ziehen».
Ältere Menschen lernen anders
Wer schon einige Jahre auf dem Buckel hat, hat bestimmt bemerkt, dass sie oder er anders lernt als früher. Altersexpertin Elisabeth Michel-Alder erklärt warum: «Jüngere Frauen und Männer lassen sich leichter auf abstrakte Inhalte ein, zum Beispiel Mathematik. Ältere suchen Verknüpfungen zwischen früheren Erfahrungen, verfügbarem Wissen und neuen Inhalten; sie schätzen die Verbindung von Theorie und Praxis.»
«Jüngere Frauen und Männer lassen sich leichter auf abstrakte Inhalte ein, zum Beispiel Mathematik. Ältere suchen Verknüpfungen zwischen früheren Erfahrungen, verfügbarem Wissen und neuen Inhalten.»
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen fluider (flüssiger) und die kristalliner (gefestigter) Intelligenz. Die fluide Intelligenz steht für die Fähigkeit, neue Probleme zu lösen und sich in neuen Situationen schnell zurechtzufinden. Die kristalline Intelligenz umfasst das Wissen und die Erfahrung. Während die flüssige Leistung des Hirns nach der Lebensmitte abnimmt, kann die kristalline bis zum Lebensende erhalten bleiben oder sogar steigen. Darauf baut das Lernen bei älteren Personen. Sie lernen ein neues Computer-Anwendungsprogramm nicht so flink wie der Enkel, können aber ein komplexes Problem dank ihrer Erfahrung und ihrem Wissen fix lösen. Die Vor- und Nachteile gleichen sich aus. Ältere Menschen lernen deshalb nicht schlechter als jüngere.
Lernen steigert die Lebensqualität
Warum soll man bis ins Alter lernen? «Um künftig den eigenen Pflege- und Putzroboter in Betrieb setzen zu können.» So lautet die witzige Antwort von Elisabeth Michel-Alder. Sie ergänzt sie mit einer ernsten: «Wer mit der natürlichen, politischen und wirtschaftlichen Umwelt und den Mitmenschen im Austausch bleiben und sich selbst sowie die Welt ein bisschen verstehen möchte, darf nicht aus dem Lernprozess aussteigen. Älterwerden bedeutet persönliche Entwicklung; das funktioniert nicht ohne Lernen.» Die Pensionierung ändert daran aus Sicht der Altersexpertin überhaupt nichts, sie sei ein willkürlich gesetztes Datum.
Weiterbildung lohnt sich für alle
Die Angestellten auch in höherem Alter noch lernen zu lassen, lohnt sich auch für die Arbeitgeber – Stichworte demografische Herausforderungen und Fachkräftemangel. Dem Problem kommt nur bei, wer auch auf ältere Arbeitnehmende setzt und es ihnen ermöglicht, sich neue Skills anzueignen. Die Arbeitgeber sind gut beraten, Weiterbildungen auch unter ihren älteren Angestellten aktiv zu fördern. Und die älteren Mitarbeitenden sollen sie einfordern.
Willst du im Alter glücklich und zufrieden sein statt gelangweilt auf den Tod warten? Dann lass dich von Elisabeth Michel-Alder anstecken und fordere dein Hirn heraus. Lerne Neues! Zum Beispiel in einem Kurs von Angestellte Schweiz.
Autor*in
Hansjörg Schmid
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