Habe ich Anspruch auf ein höheres Gehalt, wenn ich Französisch spreche?

Inwieweit beeinflusst das Beherrschen von Fremdsprachen die Karriere und das Gehalt? Interview mit Philippe Humbert, Forscher am Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg.

Marco ist Mitglied einer Arbeitsgruppe für ein nationales Projekt. Seine Kollegen kommen aus St. Gallen und Lausanne, er selbst stammt aus Lugano.

Wie soll die Kommunikation erfolgen? Auf Deutsch, der Mehrheitssprache am Tisch? Jeder in seiner Sprache, im Vertrauen auf gegenseitiges Verständnis? Marco schlägt vor, die Sitzung auf Englisch abzuhalten. Diese Idee würde den Austausch erleichtern, stösst aber grundsätzlich auf Widerstand. Diese fiktive Szene ist nicht weit von der Realität entfernt. In unserem Land sind Sprachkenntnisse, sei es in Landessprachen oder anderen Sprachen, ein wichtiger Faktor in der Arbeitswelt.

Studien haben einen Zusammenhang zwischen dem Gehalt von Erwerbstätigen und ihren Sprachkenntnissen festgestellt: Laut RTS verdienen Arbeitnehmer, die eine zweite Landessprache beherrschen, 10 bis 20 % mehr. Darüber hinaus berichten Arbeitsvermittlungsagenturen regelmässig von ihren Schwierigkeiten, zweisprachige Personen zu rekrutieren, insbesondere in der Westschweiz in nicht angrenzenden Regionen.

Ist das wirklich so offensichtlich? Verändern der Einfluss des Englischen und die KI die Situation? Um Ihnen Aufschluss zu geben, haben wir Philippe Humbert getroffen, Soziolinguist und Projektleiter am Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg (CH).

 

Wie wichtig ist es, auf dem aktuellen Schweizer Arbeitsmarkt eine zweite Landessprache zu beherrschen?

P.H.: Das hängt stark vom Sektor, der Funktion und dem Standort der Arbeitgeber ab. In zweisprachigen Kantonen sind die Behörden gesetzlich verpflichtet, ihre Dienstleistungen auch in der Minderheitensprache anzubieten, wie etwa Französisch im Kanton Bern. Dies betrifft die öffentliche Verwaltung, aber auch das Gesundheitswesen, die Polizei und indirekt auch bestimmte Geschäfte oder KMU. In diesem Zusammenhang haben zweisprachige Profile (Französisch-Deutsch) oft Vorrang, auch wenn sie nicht systematisch in Bezug auf das Gehalt berücksichtigt werden. Es sei noch angemerkt, dass nicht jeder unter «zweisprachig» dasselbe versteht. Einige Unternehmen verlangen von ihren Mitarbeitenden ein gutes Verständnis der anderen Sprache, ohne jedoch eine vollständige Beherrschung zu fordern.

 

Verändert die zunehmend dominante Stellung des Englischen in der Gesellschaft die Situation?

Der kulturelle, wirtschaftliche und politische Einfluss des Französischen ist in der Tat nicht mehr derselbe wie vor achtzig Jahren. Heutzutage tragen Plattformen wie Netflix, die zahlreiche Unterhaltungsangebote in englischer Sprache anbieten, dazu bei, die Stellung des Englischen in der Schweiz zu stärken. Es handelt sich dabei um kulturellen Konsum, aber dies beeinflusst auch den Arbeitsmarkt, der mit den gesellschaftlichen Praktiken verflochten ist. Meiner Meinung nach ist dies nicht besorgniserregend, aber der aktuelle Trend geht auch dahin, dem Englischen eine Bedeutung beizumessen, die nicht in allen Bereichen gerechtfertigt ist. Technologie, Wissenschaft oder Tourismus sind Bereiche, in denen man fast nicht mehr auf Englisch verzichten kann. Dies betrifft jedoch vor allem bestimmte Kreise, die ständig internationale Geschäfts- oder akademische Kontakte pflegen. In der Schweiz würden es französischsprachige Personen beispielsweise nicht akzeptieren, wenn ihr Krankenkassenmanager sie auf Englisch anruft, um eine Angelegenheit zu klären.

 

Eine Studie der Adecco-Gruppe hat ergeben, dass in Stellenanzeigen in der Schweiz Deutsch im französischsprachigen Teil der Schweiz häufiger verlangt wird als umgekehrt. Kann man daraus schliessen, dass Berufstätige aus Minderheitensprachregionen in Bezug auf Mehrsprachigkeit grössere Anstrengungen unternehmen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

Es liegt auf der Hand, dass Unternehmen, die sich auf Französisch beschränken, sich auf einen kleineren Markt in der Schweiz beschränken. Und für französischsprachige Arbeitnehmer*innen mit grossen Karriereambitionen auf nationaler Ebene wird es schwierig, wenn sie kein Deutsch sprechen – ausser vielleicht in Bereichen, in denen vieles auf Englisch geregelt wird. Noch deutlicher wird dies in der italienischen Schweiz, wo es sehr schwierig ist, ohne die Beherrschung einer zweiten Landessprache Karriere zu machen. Italienischsprachige Arbeitnehmer*innen aus dem Tessin und Graubünden sind oft gezwungen, nach der obligatorischen Schulzeit Deutsch oder Französisch zu lernen. Vom Rätoromanischen ganz zu schweigen: Einsprachige rätoromanische Arbeitnehmer*innen sind heute fast nicht mehr anzutreffen.

Man muss jedoch vorsichtig sein, wenn man direkte Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen Sprachkenntnissen und Beschäftigungsfähigkeit herstellt. Am Institut haben wir diesbezüglich Untersuchungen bei der Arbeitslosenversicherung durchgeführt. Eine zweisprachige Frau, die sich dem Rentenalter nähert, wird trotz ihrer Diplome und langjährigen Erfahrung mehr Schwierigkeiten haben, eine neue Stelle zu finden. Bei jüngeren Menschen kann die Zweisprachigkeit in Französisch und Deutsch manchmal eine entscheidende Rolle bei der Besetzung einer Stelle spielen, für die sie nicht unbedingt alle Qualifikationen mitbringen. Angesichts der vielfältigen Kriterien, die eine Einstellungsentscheidung beeinflussen, ist es schwierig, eine einzelne Variable herauszugreifen.

 

Hat die Anzahl der gesprochenen Sprachen einen echten Einfluss auf das ausgehandelte Gehalt bei der Einstellung?

Quantitative Studien zeigen einen Zusammenhang, der jedoch die Realität zu sehr vereinfacht. In der Schweiz verfügen Personen, deren Mehrsprachigkeit am meisten geschätzt wird (Französisch-Deutsch-Englisch), oft über ein höheres Bildungsniveau und eine bessere sozioökonomische Situation. Es ist daher nicht überraschend, dass sie in Führungspositionen mit einem höheren Gehalt zu finden sind.

Andererseits kann man auch mit guten Sprachkenntnissen in einer prekären beruflichen Situation sein. Studien haben sich mit der Mehrsprachigkeit von Callcenter-Mitarbeitenden oder Gepäckträgern an Schweizer Flughäfen befasst. In diesen Kontexten haben mehrsprachige Personen, die in der Regel eine Landessprache und eine Migrationssprache beherrschen, kein höheres Gehalt. Im Vergleich zu ihren einsprachigen Kolleg*innen sind ihre Aufgaben jedoch manchmal vielfältiger und ebenso ihre Kundschaft vielfältiger. Sie werden beispielsweise für sporadische Aufgaben herangezogen, bei denen ein Kunde plötzlich Kenntnisse in einer Sprache verlangt, die nur wenige Mitarbeitende beherrschen. Unternehmen haben daher das Potenzial dieser mehrsprachigen Ressourcen erkannt und nutzen sie manchmal ausserhalb der Arbeitszeiten ohne Vergütung, was wirklich problematisch ist.

 

Könnte der Einzug der KI und der damit verbundenen Übersetzungstools letztendlich zu einem Paradigmenwechsel führen?

Die KI beginnt tatsächlich, bestimmte Sprachpraktiken zu verändern. Aus wissenschaftlicher Sicht fehlt uns jedoch noch der nötige Abstand. Persönlich glaube ich nicht, dass KI einen Menschen mit all seinen sprachlichen und beruflichen Kompetenzen vollständig ersetzen kann. Sie kann Aufgaben wie das Übersetzen, Überarbeiten oder Verfassen bestimmter Textarten erleichtern. Aber sie berücksichtigt nicht die soziokulturellen Aspekte unserer Sprachpraktiken, zum Beispiel Ironie oder komplexe implizite Nuancen. Darüber hinaus ist sie bei Sprachen, die im Internet weniger verbreitet sind, wie beispielsweise Schweizerdeutsch, Rätoromanisch oder Albanisch, nicht so effizient. Sie birgt auch das Risiko von Fehlinterpretationen: Es werden immer kompetente Sprecher*innen benötigt, um mögliche Fehlentwicklungen zu erkennen.

 

«Quantitative Studien zeigen einen Zusammenhang, der jedoch die Realität zu sehr vereinfacht. In der Schweiz verfügen Personen, deren Mehrsprachigkeit am meisten geschätzt wird (Französisch-Deutsch-Englisch), oft über ein höheres Bildungsniveau und eine bessere sozioökonomische Situation. Es ist daher nicht überraschend, dass sie in Führungspositionen mit einem höheren Gehalt zu finden sind.»

Philippe Humbert Soziolinguist und Projektleiter am Institut für Mehrsprachigkeit

Autor*in

Laure Fasel

Laure Fasel

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