Abschalten – so gelingt es

Die Arbeit mit nach Hause zu nehmen, schadet deiner Gesundheit. Die Psychotherapeutin Saskia Lüdi verrät, wie du abschalten kannst.

Saskia, wie schliesst du persönlich deinen Arbeitstag ab?

Mir ist es wichtig, am Abend ein «leeres Postfach» zu haben. Ich sehe alles an und markiere die wichtigen Dinge, die noch zu erledigen sind und trage im Kalender dafür Zeitfenster ein. Damit habe ich zum Arbeitsschluss den Überblick. Auch wenn nicht alles fertig ist kann ich so gut loslassen.

Vielen Menschen gelingt es nur schwer, nach Arbeitsschluss von der Arbeit abzuschalten. Warum ist das so?

Gemäss einer aktuellen Erhebung sind in der Schweiz der Arbeitsdruck und das Arbeitstempo hoch. Viele Menschen arbeiten deswegen bis spät in den Abend oder erledigen Arbeit in der Freizeit. Mit den flexiblen Arbeitsmodellen grenzt sich die Arbeit zudem immer weniger von der Freizeit ab. Dazu kommt, dass die moderne Arbeit häufig nie wirklich abgeschlossen ist. Kaum mehr jemand verlässt am Abend die Werkstatt und das Eisen ist geschmiedet. Vielmehr lassen wir unzufriedene Kund*innen und unfertige Projekte zurück.

«Wer nicht abschalten kann läuft Gefahr, in eine chronische Stressbelastung zu geraten.»

Saskia Lüdi Psychotherapeutin Workmed

Gibt es weitere Gründe, die vielleicht mehr mit dem Menschlichen zu tun haben?

Gemäss einer Erhebung von uns sind Konflikte, Kränkungen und Unsicherheiten am Arbeitsplatz eine wichtige Ursache. Je persönlicher diese sind, desto mehr verfolgen und stressen sie die Betroffenen.

Wem fällt das Abschalten besonders schwer?

Z.B. Personen, die sehr leistungsorientiert oder perfektionistisch sind. Sie geraten in Stress, wenn sie merken, dass sie die Aufgaben in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht in der von ihnen angestrebten Qualität erledigen können. Sie stellen die Ansprüche an sich weniger in Frage.

Haben die Schwierigkeiten abzuschalten zugenommen?

Das ist anzunehmen. Wir stellen zumindest fest, dass sich mehr Menschen wegen psychischen Belastungen behandeln lassen.

Was sind die gesundheitlichen Folgen, wenn man nicht abschalten kann?

Wer nicht abschalten kann läuft Gefahr, in eine chronische Stressbelastung zu geraten. Dass wir Menschen Stress empfinden, ist grundsätzlich normal und unser Körper kann ihn auch aushalten. Stress ist aber ein Alarmzustand. Hält er länger an, macht er uns krank. Eine typische Folge sind Schlaf- oder Konzentrationsstörungen sowie körperliche Beschwerden wie Verspannungen, Magenschmerzen oder Herz-Kreislauf-Probleme.

«Der Weg nach Hause ist ein Übergang von der Arbeit in die Freizeit. Man kann ihn nutzen, um abzuschalten.»

Saskia Lüdi Psychotherapeutin Workmed

Was kann ich nach Arbeitsschluss konkret tun, um von der Arbeit abzuschalten?

Es hilft sich vorzunehmen, dass man nun in die Freizeit startet und dies bewusst zu gestalten. Der Weg nach Hause ist ein Übergang von der Arbeit in die Freizeit. Man kann ihn nutzen, um abzuschalten. Statt im Zug oder Bus weiterzuarbeiten oder über die Arbeit nachzudenken, liest man, hört Musik oder ruft einen interessanten Menschen an. Die Methode dazu heisst Boundary Management (auf Deutsch: Grenzen gestalten). Oft ist der Weg zur und von der Arbeit die einzige Zeit, die man für sich selbst hat, bevor man wieder in die nächste Rolle schlüpft.

Welche Möglichkeiten gibt es, wenn ich nur einen kurzen Heimweg habe?

Da gibt es die tolle Variante, nicht den kürzesten, sondern den schönsten Heimweg zu wählen, bewusst wahrzunehmen und auch mal innezuhalten. Dabei richtet man seine Aufmerksamkeit auf die Natur oder die attraktive Umgebung. Solche achtsamen Momente einzubauen, empfiehlt sich auch durch den Arbeitstag.

Was tu ich, wenn ich beim Zubettgehen merke, dass ich immer noch über die Arbeit nachdenke?

Ich empfehle, zu überlegen, was einem ganz persönlich beim Abschalten hilft: ein fantasievolles Buch, ein Hörbuch etc. Was sich bei gewissen Menschen auch bewährt, sind Dankbarkeitsrituale, eine Vorfreude-Wochenvorschau im Kopf oder eine Meditation. Wenn immer die gleichen Gedanken und Themen kommen, dann kann man auch üben, diese wie Wolken vor dem inneren Auge vorbeiziehen zu lassen. Dabei blendet man die emotionale Komponente aus, betrachtet ohne zu bewerten. Das hilft, Distanz zwischen sich und seine Gedanken zu bringen, braucht aber etwas Übung. Nicht zuletzt kann man sich vor Augen halten, dass die Probleme am Morgen nie so gross sind, wie in der Nacht – das hat mit den hormonellen Veränderungen zu tun, die uns spätabends mehr grübeln lassen.

Was kann ich auf der körperlichen Ebene tun?

Stress ist immer verbunden mit körperlichen Reaktionen. Darum bewähren sich Muskelentspannungsmethoden oder Atemübungen, die direkt an der Anspannung ansetzen. Dazu gibt es heutzutage auch hilfreiche Apps. Wichtig ist auch körperliche Betätigung damit der Stress abgebaut werden kann – ein Spaziergang tut schon sehr gut.

Wirksame Entspannungsmethoden

Diese Entspannungsmethoden helfen dir, abzuschalten:

Was tu ich, wenn ich nachts aufwache und ich die Probleme rund um meine Arbeit zu wälzen beginne?

Man kann die gleichen Strategien anwenden wie beim Einschlafen. Gewisse Menschen haben auch einen Notizblock auf dem Nachttisch, in dem sie notfalls aufschreiben, was sie nicht vergessen wollen. Wenn man länger als eine Viertelstunde wach liegt oder sich hellwach fühlt, steht man besser auf und tut etwas, das einen nicht aufregt. Man faltet zum Beispiel Wäsche, schnappt frische Luft oder trinkt etwas. Sobald erst Anzeichen von Müdigkeit aufkommen, legt man sich wieder ins Bett.

Was ist, wenn es mir immer noch nicht gelingt, loszulassen?

Für viele Menschen ist es hilfreich, mit jemandem über die Belastung zu sprechen. Man erhält neue Perspektiven, kann nach explizit nach Entlastung fragen oder erhält einfach eine stärkende Umarmung. Wenn der Zustand über mehrere Wochen andauert und zu Einbussen in der Leistung und im sozialen Leben führt, soll man nicht länger warten, sondern sich an eine Fachperson wenden. Am besten zuerst an die Hausärztin oder den Hausarzt.

 

Zur Person

Saskia Lüdi ist ausgebildete Sozial- und Wirtschaftspsychologin und Psychotherapeutin. Sie arbeitet als Assessorin, Therapeutin und Kursleiterin bei Workmed AG.

Autor*in

Hansjörg Schmid

Hansjörg Schmid

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