So gelingt Boundary Management

Weshalb Rituale eine grosse Rolle dabei spielen und was Unternehmen tun können, damit Arbeitnehmende eine Grenze zwischen Beruf und Privatleben ziehen können.
Wie grenze ich mich von der Arbeit ab?

Arbeit und Freizeit zu trennen, ist nicht immer einfach. Jan Borer, unser angehender Arbeitspsychologe, erklärt dir im Interview, weshalb das so ist und wie es trotzdem klappt mit dem Boundary Management.

Weshalb tun sich viele so schwer, sich von der Arbeit abzugrenzen?

Jan Borer: Das hat oft mehrere Gründe: Zum einen wollen die meisten von uns gute Arbeit leisten – ein gesundes Abgrenzen wird leider immer noch oft als «Faulheit» betrachtet. Auch das Alter kann hierbei eine Rolle spielen. Gerade jüngere Mitarbeitende, welche vielleicht frisch aus dem Studium kommen, wollen sich in der neuen Firma einen Namen machen und stürzen sich dann eher in die Arbeit, auch wenn sie müde sind.

Und es ist natürlich auch so, dass unsere neuen Arbeitsformen und -tools zunehmend die Grenzen zwischen Job und Freizeit verschwimmen lassen – das Abgrenzen wird somit automatisch schwieriger.  So ist es heute viel einfacher, noch einmal «kurz» zur Arbeit zurückzukehren, wenn das Teams-Icon aufblitzt. Plötzlich gibt man nach Feierabend doch noch Antwort auf eine E-Mail oder nimmt einen Call auch an einem freien Tag entgegen.

Weshalb ist es negativ, wenn unsere Lebensbereiche sich so vermischen?

Das Vermischen der Lebensbereiche, unseren Life Domains, kann dazu führen, dass wir keinem unserer Lebensbereiche wirklich gerecht werden. Wer früher viel gearbeitet hat, hatte z.B. weniger Zeit für seinen sozialen Lebensbereich. Heute ist dieser Effekt noch viel stärker, gerade weil wir so leicht Zugang zu unserer Arbeit finden, wir brauchen ja nur einen Laptop und eine stabile Internetverbindung.

Wenn wir keine klaren Grenzen ziehen, wirkt sich das auf unser Wohlbefinden aus und wir werden immer erschöpfter. So ist zum Beispiel ein Anzeichen von Burnout, dass man sich zuhause nach der Arbeit nicht mehr entspannen kann – etwa wie, wenn man abends beim Netflix schauen doch noch die E-Mails checkt, um nichts zu verpassen.

Das Thema «Boundary Management» hat sich seit Covid verstärkt, seitdem wir alle viel mehr im Homeoffice arbeiten.

Ja, das ist auf jeden Fall so. Gesunde Grenzen zwischen den Lebensbereichen zu ziehen, wurde auch vor Covid praktiziert. In der Pandemie musste dann jede Person zwangsläufig zuhause arbeiten – somit konnte man sich gar nicht der Tatsache entziehen, dass Arbeit und Privates immer mehr gemischt werden.

Was ist Boundary Management?

Boundary Management ist die Fähigkeit, Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu setzen und zu leben.

Parallel dazu sind wir auch immer mehr im Online-Bereich unterwegs, wo wir ständig erreichbar sind, auch in unserer Freizeit. Sich abzugrenzen stellt mittlerweile einen wichtigen Skill dar, und ich begrüsse, dass dieses Thema nun offener adressiert wird.

Damit Boundary Management gelingt, ist es wichtig, die eigenen Grenzen und Emotionen klar zu kommunizieren – ist in der aktuellen Arbeitswelt überhaupt Platz dafür?

Dafür ist nicht nur Platz, es ist absolut erforderlich, dass wir in neuen Arbeitskontexten klar aber konstruktiv über Grenzen und Emotionen diskutieren. Zum einen verschieben sich Aspekte der Gesundheitsförderung aufgrund von Remote Work zunehmend in den individuellen Bereich. Andererseits werden unsere Hierarchien zunehmend auch flacher und wir arbeiten enger zusammen.

Damit dies reibungslos funktioniert, müssen Emotionen und Grenzen hinreichend thematisiert werden. Bei flachen Hierarchien arbeiten sehr unterschiedliche Menschen eng zusammen. So kann es z.B. sein, dass «Lisa» gerne noch abends im Fitness während der Pause eine E-Mail beantwortet, weil sie das mobile Arbeiten fliessend in ihren Alltag integrieren möchte. Für «Erik» hingegen ist das purer Stress, er will klare Grenzen zwischen Arbeit und Feierabend. Wenn diese zwei in einem Projekt zusammenarbeiten, muss anfänglich klar geregelt werden, wie mit solchen Situationen umzugehen ist. Nur so können alle Beteiligten ihre Grenzen wahren.

Was kann ich als Arbeitnehmende tun, damit es klappt mit dem Boundary Management?

Als individuelle Person sollte man sich Gedanken machen, wo die eigenen Grenzen liegen und wie der persönliche Mix an Lebensbereichen idealerweise aussehen soll. Es gibt keine alleinstehende Lösung – man wird diesen Überlegungen auch nicht jede Woche gerecht werden.

Ein gut durchdachtes, generelles Bild seiner eigenen Lebensbereiche hilft jedoch, die eigenen Grenzen auch durchzusetzen. Das Kommunizieren der eigenen Grenzen sollte offen und angemessen erfolgen, man darf aber auch bestimmt auftreten: Korrekt formuliert «Nein» zu sagen, hilft uns, unsere Lebensbereiche zu schützen.

 

Auch Rituale können helfen, seine Grenzen zu leben.

Das menschliche Gehirn ist gemacht, um mit schnellen und automatisierten Denkprozessen zu funktionieren – ansonsten könnten wir unserem Alltag gar nicht gerecht werden. Rituale ermöglichen uns, diese Automatismen kurzzeitig zu durchbrechen und bewusst im Hier und Jetzt anzukommen. Wenn ich zum Beispiel immer nach einem Homeoffice-Tag einen Feierabendspaziergang unternehme, ziehe ich automatisch eine Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Ich signalisiere mir über mein Ritual, dass jetzt Feierabend ist.

«Wenn wir keine klaren Grenzen ziehen, wirkt sich das auf unser Wohlbefinden aus und wir werden immer erschöpfter.»

Jan Borer angehender Arbeitspsychologe

Rituale sind wie Schnittstellen zwischen verschiedenen Lebensbereichen, welche das Ziehen von Grenzen unterstützen.

Was forderst du von den Unternehmen?

Unternehmen sind immer auch Träger der hauseigenen Arbeitskultur und den damit verbundenen Werten. Somit haben sie auch einen grossen Einfluss darauf, wie mit Grenzen im Arbeitsalltag umgegangen wird. Ein Unternehmen, welche diese Aspekte ernst nimmt, sorgt dafür, dass die Angestellten ihre Grenzen und Wünsche offen und ohne Sorge äussern können und dass auch angemessen auf diese Grenzen eingegangen wird.

In diesem Kontext ist auch die Vorbildfunktion sehr wichtig: Gerade die Vorgesetzten sollten mit gutem Beispiel vorangehen und ein gesundes Boundary Management praktizieren.

 

Autor*in

Manuela Donati

Manuela Donati

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