Der psychologische Effekt der Kurzarbeit

Wie gehen betroffene Personen mit ihrer Freizeit, dem fehlenden Tagesablauf und der Unsicherheit um? Unsere Arbeitspsychologin gibt dazu ihre Einschätzung.

Durch die unsichere aussenpolitische Lage, das schwache wirtschaftliche Wachstum und die von Präsident Trump angekündigten Zölle haben aktuell viele Schweizer Unternehmen Kurzarbeit eingeführt. Vor allem Unternehmen in der MEM-Industrie.

Doch was bedeutet Kurzarbeit genau? Führt ein Unternehmen Kurzarbeit ein, reduzieren Angestellte vorübergehend ihr Pensum oder werden sogar ganz freigestellt. Dabei erhalten sie trotzdem 80% ihres Lohnes und der Arbeitsvertrag bleibt bestehen. Dies schützt den Arbeitsplatz in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und verhindert Kündigungen, während die Lohndifferenz durch die Arbeitslosenversicherung finanziert wird.

Kurzarbeit - die aktuelle Situation 

Die aktuelle Krise in der Industrie hat viele Firmen dazu gebracht, 2024 Kurzarbeit einzuführen. Einige haben schon die maximale Bezugsdauer erreicht. In diesem Zusammenhang haben die Politiker kürzlich für eine Verlängerung der maximalen Bezugsdauer auf 24 Monate gestimmt. Diese Massnahme tritt nach Bestätigung durch den Bundesrat am 1. November 2025 in Kraft.

Ohne eine Anpassung dieser Regelung würden Entlassungen drohen – mit der Folge, dass wertvolles Know-how verloren gehen kann, das bei einer späteren wirtschaftlichen Erholung dringend benötigt wird. 

Doch mit der neuen freien Zeit, der fehlenden Routine und der Unsicherheit der wirtschaftlich schwierigen Lage muss man umgehen können. Die psychischen Folgen der Kurzarbeit sind nicht zu unterschätzen. Ob die Effekte für Betroffene positiv oder negativ ausfallen, ist auch abhängig vom Persönlichkeitstyp der Betroffenen und von Art und Weise, wie die Kurzarbeit umgesetzt und kommuniziert wird.

Arbeitsplatzsicherheit vs. Finanzielle Sorgen

So kann Kurzarbeit eine Alternative zu Entlassungen sein und die Arbeitsplatzsicherheit vorübergehend gewährleisten. Dies kann den Stress und die Angst vor Arbeitslosigkeit verringern. Trotzdem bleiben die Sorgen und der finanzielle Druck auf die Arbeitnehmenden, wenn sich eine wirtschaftliche Besserung nicht abzeichnet. Gefühle von Ohnmacht und Kontrollverlust können aufkommen.

 

Die Unsicherheit ist beunruhigend

Im Gegensatz zur klassischen Arbeitslosigkeit behalten Personen in Kurzarbeit ihren Arbeitsplatz, aber die Zukunft bleibt ungewiss. Kurzarbeit ist nämlich ein Zeichen für Schwierigkeiten im Unternehmen. Es ist so ungewiss, ob man den Job langfristig behalten kann. Gerade bei wiederkehrenden Kurzarbeitsphasen kann dieser Schwebezustand stark belasten und sogar schwieriger zum Aushalten sein als eine klare, wenn auch negative Situation wie Arbeitslosigkeit.

Sinnverlust

Während der Kurzarbeit kann das Gefühl entstehen, dass man nicht mehr gebraucht wird. Ein Teil der üblichen Strukturen, positiven Rückmeldungen, Selbstwirksamkeit und Erfolgserlebnisse bleiben aus. Dies kann dazu führen, dass weniger Sinnhaftigkeit in der Arbeit gesehen wird und ein temporärer Identitätsverlust geschieht. Frustration, innere Unruhe und Unzufriedenheit können dadurch steigen. Dazu kann ein Gefühl von sozialer Isolation entstehen, wenn Arbeitsroutinen wegfallen und weniger Interaktionen mit Kolleg*innen stattfinden. Dadurch kann es auch zu Verlust von Motivation und Engagement in Bezug auf den Beruf führen.

Rollenkonflikte

Kurzarbeit beeinflusst die Work-Life-Balance massgeblich. Sie bedeutet oft ein Ungleichgewicht zu Hause, gerade wenn neben dem Job andere Verpflichtungen bestehen. Die Erwartung: Man arbeitet weniger, also kann man mehr Care-Aufgaben übernehmen - ohne Entlastung und mit grossem beruflichem Druck. Dies kann insgesamt zu einer Überlastung führen. Dieses Problem wird häufiger bei Frauen beobachtet.

«In manchen Fällen ist Kurzarbeit auch mit erhöhtem Leistungsdruck verbunden. Man will sich nach der Krise besonders stark engagieren oder sich während der Krise besonders nützlich machen. Dadurch fallen einige in einen erhöhten Aktionismus und setzen sich selbst zu stark unter Druck.»
Alina Ferraro Arbeitspsychologin bei Angestellte Schweiz

Zusätzliche Zeit sinnvoll nutzen

Wer viel Zeit hat, hat auch viel Zeit zum Denken. So kann Kurzarbeit auch dazu führen, den beruflichen Weg zu hinterfragen, was bei einigen Arbeitnehmenden zu Umschulungen oder gar einem Berufswechsel führen kann.

Wenn möglich, sollte die freie Zeit sinnvoll genutzt werden – zum Beispiel mit einer berufsrelevanten Weiterbildung. So bleibt man auf dem Berufsmarkt interessant und eignet sich relevante Skills an.

Soziale Kontakte bewusst zu pflegen, hilft besonders in herausfordernden Zeiten, im Alltag aktiv zu bleiben und nicht zu vereinsamen. So können Treffen unter Arbeitskolleg*innen auch ausserhalb des Arbeitsumfelds bereichernd sein. Wie wäre es mit einem regelmässigen gemeinsamen Treffen zum Kaffee oder zum Spaziergang? Auch ein Online-Austausch kann die Verbindung erhalten.

 

 

*Dieser Artikel wurde im Mai 2025 veröffentlicht und im Oktober 2025 aktualisiert.

Autor*in

Manuela Donati

Manuela Donati

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