Wechseljahre: Wir leiden!

Das Arbeitszeugnis - in anderen Ländern spielt es kaum eine Rolle, in der Schweiz, Österreich und Deutschland dagegen oft eine entscheidende. Hinzukommen kodierte Textpassagen, die das Zeugnis sehr umfangreich und auch «altbacken» erscheinen lassen können.
Manuel Wiesner, Schweizer Gastronom, hatte vor ein paar Jahren eine Idee: «Wie wäre es, wenn das Zeugnis sehr viel einfacher zu erstellen und zu lesen wäre?» Komplett neugedacht. «Wir wollten die Floskeln abschaffen, echte Aussagen ermöglichen und auch die Führungskräfte entlasten», erklärt Manuel Wiesner, Initiant des Projekts.
Statt verschlüsselter Formulierungen soll das neue Format, auch Arbeitszeugnis 2.0 genannt, Stärken und Leistungen klarer aufzeigen. Dies in Form von Grafiken, Balkendiagrammen und auf nur einer A4-Seite, basierend aber auf Studien, Umfragen und psychologischen Erkenntnissen.
Ziel ist es, nicht nur zeugnisausstellende Arbeitgeber*innen zu entlasten, sondern auch Recruiter*innen oder Stellenanbieter*innen das Lesen von Zeugnissen zu erleichtern.
Die Idee nahm Gestalt an und wurde weiterentwickelt. 2024 haben die Initianten einen Verein gegründet, mit aktuell rund 40 Mitgliedfirmen. Diese Mitglieder treiben die Vision aktiv voran, darunter Unternehmen aus allen Branchen, wie z.B. aus der Energiebranche, Gastronomie, Bankensektor oder aus dem Softwarebereich.
Zusätzlich gibt es fast 170 Teilnehmende, die sich am «runden Tisch» über das Projekt austauschen. Hier sind auch Arbeitnehmerverbände, wie Angestellte Schweiz, vertreten.
Das Zeugnis soll insbesondere auch über bekannte Zeugnistools erstellt werden können und für verschiedene Funktionen standardisierbar sein.
Wichtig ist, dass die Softwareunternehmen die Idee in ihren Produkten auch umsetzen. Hier gibt es schon Erfolge zu verzeichnen: Bereits heute haben erste Anbieter das Arbeitszeugnis 2.0 implementiert. Dazu gehören unter anderem zeugnis.ch, Skriba und confer!, die ihre Softwarelösungen entsprechend angepasst haben. Die Firmen Abacus, Weka, zep – zeugnismanager oder certicat haben gemäss Manuel Wiesner ebenfalls Bereitschaft gezeigt, mit weiteren ist der Verein im Gespräch.
«Ich hatte damals eine Idee: Wie wäre es, wenn ein Arbeitszeugnis sehr viel einfacher zu erstellen und zu lesen wäre? Ich wollte Floskeln abschaffen, echte Aussagen ermöglichen und auch die Führungskräfte entlasten.»
Bei der Familie Wiesner Gastronomie ist das Zeugnis bereits im Einsatz: «Dieses Zeugnis funktioniert für 80 Prozent der Mitarbeitenden sehr gut», sagt Wiesner. Besonders für operative Tätigkeiten oder im Gastro- und Dienstleistungsbereich könne das System Vorteile bringen: weniger Streitfälle, mehr Vergleichbarkeit, schnellere Prozesse.
Bei der Outdoor Switzerland AG, einem Anbieter für Freizeit- und Outdoorerlebnisse, setzt man ebenfalls neu auf die neue Form.
Nina Spitznagel, Mitarbeiterin im HR, berichtet von der Problematik, die bisher bestand:
«Ich denke, uns ging es wie vielen anderen Unternehmen: Die Erstellung eines Arbeitszeugnisses war mit einem enormen Zeitaufwand verbunden – für alle Beteiligten. Die Führungskräfte mussten umfangreiche Zeugnisanträge mit zahlreichen Bewertungen ausfüllen, von denen schlussendlich nur wenige in standardisierte Formulierungen übernommen wurden. Auch im HR war der Aufwand gross: Teilweise arbeiteten wir mit Unterstützung von KI, dennoch blieb es eine zeitintensive und – ehrlich gesagt – wenig befriedigende Aufgabe. Vor allem, wenn man weiss, dass viele Zeugnisse am Ende kaum noch wirklich gelesen werden – was den ganzen Prozess irgendwie sinnlos erscheinen lässt.»
Es entstand das Bedürfnis nach einer Alternative. Bei ihrer Recherche sei sie auf das neue Konzept gestossen und war positiv überrascht. Das HR-Team und die Geschäftsleitung waren schnell überzeugt und man entschied sich, auf das neue Format umzustellen.
Die Marketingabteilung hat aus diesem Grund eine Vorlage im Corporate Identity von Outdoor erstellt, angelehnt an das Arbeitszeugnis 2.0.
Dennoch gibt es auch kritische Stimmen, die nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Herausfordernd seien Zeugnisse in höheren Positionen mit Führungsverantwortung. Hier könne die neue Form unter Umständen nicht aussagekräftig genug sein.
«In solchen Fällen würden wir uns vorbehalten, weiterhin ein klassisches Arbeitszeugnis auszustellen. Auch in diesem Punkt stehen wir jedoch noch am Anfang und verfügen erst über wenige Erfahrungswerte», sagt Nina Spitznagel.
Die Outdoor Switzerland AG befindet sich aktuell in der Vorbereitungsphase und plant im Spätherbst die Einführung im ganzen Unternehmen.
«Bei meinen Recherchen bin ich auf das Konzept Arbeitszeugnis 2.0 gestossen – und war vom ersten Moment an positiv überrascht. Ich habe es in einem HR-Meeting vorgestellt und konnte das Team ohne grossen Aufwand dafür begeistern. Anschliessend wurde das Thema in einer GL-Sitzung besprochen – und auch dort als sinnvoll und zeitgemäss beurteilt.»
Es gibt noch ein paar Unklarheiten. Was ist mit akademischen Berufen oder spezialisierten Tätigkeiten? Manuel Wiesner selbst räumt ein: «Für gewisse Jobs macht ein individuelles Referenzschreiben in Kombination mit dem Arbeitszeugnis 2.0 weiterhin Sinn. »
Auch die Frage nach Wertschätzung bleibt offen. Kritiker*innen befürchten, dass persönliche Anerkennung im nüchternen Standardzeugnis verloren gehen könnte. «Die Diskussion sollte immer im Mitarbeitendengespräch erfolgen», betont Wiesner, das alte wie auch das neue Zeugnis könne diesen Dialog nicht ersetzen.
Das Arbeitszeugnis 2.0 könnte ein «Gamechanger» werden: weniger verschlüsselte Botschaften, mehr Transparenz und Vergleichbarkeit. Gleichzeitig bleibt die Gefahr, dass Individualität und Wertschätzung zu kurz kommen.
Arbeitnehmende sollten die Entwicklung aufmerksam verfolgen und im Zweifel zusätzlich persönliche Referenzen einholen. Auch wir als Arbeitnehmerverband werden ein Auge darauf haben und die Interessen der Beschäftigten in diesem Prozess vertreten.
Das Fazit fällt insgesamt zuversichtlich aus: Ziel ist es, die Vision einer zeitgemässen und fairen Beurteilung umzusetzen und dabei möglichst viele Akteure an einen Tisch zu bringen.