Vom Burnout zur ADHS-Diagnose

Thomas rutschte mit Ende vierzig in ein Burnout. Dieser Tiefpunkt wurde zum wichtigsten Wendepunkt in seinem Arbeitsleben.

Arbeitet Marketingleiter Thomas* an einem Projekt, so tut er dies mit Leib und Seele. Er gibt dann «150 Prozent und kein Prozent weniger.» So schnell und leidenschaftlich, wie er sich auf ein Projekt stürzt, so abrupt lässt sein Interesse meist nach wenigen Wochen wieder nach. Denn Routine wird für ihn schnell zur Tortur. Thomas braucht darum regelmässig neue Reize, die ihm die Arbeit erträglicher machen. Die Folge: Länger als drei Jahre hat er es bis jetzt bei keinem Arbeitgeber ausgehalten.

Die häufigen Jobwechsel und das exzessive Arbeiten an neuen Projekten sind typisch für ADHS-Betroffene. Thomas führte fast 30 Jahre lang diesen ungesunden Lebensstil. Seine ständige innere Unruhe kompensierte er, indem er Kette rauchte. Vor ein paar Jahren rutschte er schliesslich in ein Burnout. An diesem persönlichen Tiefpunkt angelangt, riet ihm sein Therapeut zur ADHS-Abklärung. «Ich war erleichtert, eine Diagnose zu erhalten. Endlich gab es eine Erklärung dafür, warum mir die Arbeit so ständig so viel Energie raubte.»

Heute kann er abschalten

Eine medikamentöse Behandlung erwies sich für Thomas als entscheidender Wendepunkt. Er stürzt sich zwar noch heute mit Leidenschaft auf neue Projekte, am Ende eines Arbeitstages gelingt es ihm jedoch abzuschalten. Den Laptop lässt er am Wochenende und in den Ferien im Schreibtisch. Die ständige innere Anspannung ist gewichen. Auch in seiner Rolle als Teamleiter einer Marketingagentur fühlt sich Thomas wirkungsvoller. Sein Bewusstsein für neurodivergente Menschen erlaubt ihm, gewisse Mitarbeitende, die vermeintlich aus der Reihe tanzen, gezielter zu fördern.

Als Kind kein «Zappelphilipp»

In der Kindheit war ADHS nie ein Thema bei Thomas. Er verband ADHS mit körperlicher Hyperaktivität, selber war er jedoch kein «Zappelphilipp». Und doch gab es auch abseits der Arbeit deutliche Signale, die darauf hindeuteten: Überfüllte Züge und lärmige Restaurants führten bei ihm schon in jungen Jahren zu einer Reizüberflutung. Auch die ADHS-typische Impulsivität zeichnete ihn aus und führte am Arbeitsplatz nicht selten zu unangenehmen Situationen. Nach einer heftigen Diskussion plagte ihn das schlechte Gewissen meist noch lange. Gleichzeitig war Thomas schon als Kind sehr kreativ und konnte «um die Ecke» denken, wie sonst kaum jemand in seinem Umfeld.

Der Fokus liegt auf den Stärken

Für all dies gibt es heute eine Erklärung. «Mein Leben ist ganz klar lebenswerter geworden, seit ich die ADHS-Diagnose erhalten habe», sagt der 50-jährige. Zwar lassen sich die Symptome auch mit Medikamenten nicht vollständig aus der Welt schaffen, doch sie belasten ihn nicht mehr so stark. Er misst sich nicht länger an dem, was ihm schwerfällt, sondern richtet den Fokus bewusst auf seine Stärken. Gleichzeitig fällt es ihm leichter anzunehmen, dass er in gewissen Situationen anders funktioniert als andere: nicht schlechter, sondern schlicht anders. Seine Geschichte zeigt: Es ist nie zu spät für eine ADHS-Diagnose.

* Name der Redaktion bekannt

Autor*in

Christian  Vogt

Christian Vogt

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