«Als Jägerin lernst du vor allem Tugenden wie Geduld, Achtsamkeit und Respekt.»

Séverine Knüsli ist nicht nur passionierte Gärtnerin, sondern besitzt auch das Jagdpatent. Im Berufsalltag arbeitet sie als Unternehmensjuristin. Wie sie die Merkmale von Hobby und Beruf in ihrer Arbeitswelt miteinander verbindet und inwiefern sie davon profitiert, erzählt sie uns im Interview.

Séverine, seit wann bist du Jägerin und warum interessierst du dich dafür?

2017 habe ich die Jagdausbildung abgeschlossen und den Jagdausweis des Kantons Bern erhalten. Davor hatte ich bereits eine Ausbildung in Feldbotanik absolviert. Zur Jagd bin ich aufgrund von Erzählungen eines ehemaligen Vorgesetzten über die hochwertige Ausbildung sowie den zunehmenden Anteil an Frauen bei der Jagd gekommen. Wenn ich schon Fleisch konsumiere, dann möchte ich wissen, woher es stammt und dass das Tier nicht gelitten hat. Auf der Jagd trage ich als Jägerin die Verantwortung für das Tierwohl.

Was braucht es alles, um offiziell Jäger*in in der Schweiz zu werden?

Es bedarf einer fundierten mittlerweile zweijährigen Ausbildung, die mit einer schriftlichen, mündlichen und einer praktischen Prüfung abgeschlossen werden muss. Die Ausbildungspalette ist gross: Gesetzgebung rund um Jagd und Umwelt, Jagdethik, Wild- und Vogelkunde, Jagdhundewesen, Waffenkunde, Ballistik*, Optik, Hege*- und Naturkunde. Neben einem 100% Arbeitspensum als Juristin blieb nicht mehr viel Zeit für Anderes; wöchentlicher Theoriekurs, Pflichtmodule an den Wochenenden sowie Jagdbegleitungen oder Hegeeinsätze und praktisches Jagdübungsschiessen. Der Entschluss, Jägerin oder Jäger zu werden, ist also nicht einfach der Entschluss zu einem Hobby, sondern das Erlernen eines Handwerks.

Ist «jagen» immer noch eine Männerdomäne?

Die Anzahl der Frauen, welche die Jagdausbildung absolvieren und aktiv jagen nimmt stetig zu. Das Jagdinspektorat im Kanton Bern wird seit 2024 von Nicole Imesch vorgestanden. Sie ist die höchste Jägerin im Kanton. Als ich 2015 mit der Ausbildung startete, durchgeführt vom Berner Jägerverband, war ich sehr überrascht, dass alle Schreiben vom Verband sowie die mündliche Adressierung jeweils die weibliche Form einschlossen. Hätte ich so nicht erwartet, vor allem da dem Jägertum zum Teil noch ein etwas verstaubtes Image anhaftet. Früher fand ich diese Diskussion unnötig, doch heute geht es um die Vermittlung von Identifikation und Vorbildfunktion durch die verwendete Sprache. Eine Diversifizierung bei den Jäger*innen oder bei einem Unternehmen kann zum Wohle aller nicht schaden.

Inwiefern beeinflusst dich das Thema Jagd in deinem Berufsleben als Unternehmensjuristin? Ich denke da an Spürsinn oder die Lust, etwas oder jemandem auf der Spur zu sein oder aber in Wartestellung auf den richtigen Moment auszuharren …

Als Jägerin oder Jäger lernst du vor allem Tugenden wie Geduld, Achtsamkeit und Respekt. Die Ausübung der Jagd besteht vor allem aus Beobachten und Warten. Die Schussabgabe auf ein Tier macht im Verhältnis zu allen anderen jagdlichen Tätigkeiten den kleinsten Teil aus. Durch die Jagdausbildung und die Jagderfahrung habe ich vor allem gelernt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, abzuwarten, mir ein gesamtheitliches Bild zu machen.

Wie integrierst du deine praktischen Erfahrungen als Jägerin in die Entwicklung von Rechtsstrategien oder -argumente? Gibt es spezifische Fälle, bei denen dir die Jagderfahrungen besonders nützlich waren?

Die Tatsache, dass ich über den Jagdausweis verfüge, lasse ich zum Teil gezielt in Verhandlungen und Sitzungen einfliessen. Es ist dann spannend zu erleben, vor allem, wenn die Mehrheit der Anwesenden Männer ist, wie Gespräche oder alleine der Ton sachlicher verläuft und geschlechterspezifische Eigenheiten in den Hintergrund rücken.

Da ich in unserem Unternehmen in der Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit (ESG)* mitwirke, kann ich natürlich aufgrund der fundierten Jagd- und Feldbotanikausbildung aus dem Vollen schöpfen, beispielsweise zu Themen wie Biodiversität, Umgang mit Abfall oder Sicherheit.

Wie siehst du die Rolle der Jagd in der modernen Gesellschaft bzw. was können Angestellte von Jäger*innen lernen?

Der Jagd wird aufgrund der fehlenden natürlichen Fressfeinde des Wildes in unserer dicht besiedelten Landschaft bzw. die dadurch verursachte Störung eine zunehmend regulierende Rolle zugewiesen. Durch unsere fundierten Kenntnisse über Natur und Wildtiere sind wir als Jägerin oder Jäger zu deren Fürsprecher*innen und Aufklärer*innen geworden. Mir ist bewusst, dies mag für einige paradox klingen. Wie gesagt, die Schussabgabe macht den kleinsten Teil unserer jagdlichen Tätigkeit aus.

Wenn ich in den Bergen auf der Hochjagd unterwegs bin – natürlich bepackt mit Rucksack und Gewehr - werde ich oft angesprochen. Gerne nehme ich mir dann Zeit, über die Jagd sowie Tier und Natur Auskunft zu geben. Zeit, nebst Gesundheit, ist heutzutage in unserer durchgetakteten Welt das wertvollste Gut.

«Zeit und Gesundheit sind ein wichtiges Gut» – das bringt es auf den Punkt und gilt auch für eine gesunde Arbeitswelt. 

Herzlichen Dank, Séverine!

Was bedeuten die Begriffe Ballistik, Hege und ESG?

Wir erklären es euch. 

 

 

Ballistik ist ein Teilbereich der Physik, der sich mit dem «geworfenen Körper» beschäftigt

Hege ist alles, was die Lebensgrundlagen unseres Wildes pflegt und sichert.

ESG: Environmental, Social und Governance – auf Deutsch Umwelt, Soziales und Unternehmensführung ist ein Synonym für Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen.

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